Schweizer können sich im europäischen Vergleich über ärztliche Versorgung nicht beschweren. 4,3 Ärzte kommen auf 1.000 Einwohner, mehr als im OECD-Schnitt und ähnlich viele wie in Deutschland oder Italien. Allerdings stammt fast jeder dritte Arzt aus dem Ausland. Das Durchschnittsalter der Ärzteschaft ist mit 50 Jahren hoch. Krankenhäuser haben häufig Probleme, vakante Arztstellen zu besetzen, der Bedarf ist größer als das Angebot – ein Problem, das sich in den kommenden Jahren angesichts bestehender Altersstrukturen noch weiter verschärft. Klinische Fachspezialisten/innen könnten in die Bresche springen und auch sonst wichtige Aufgaben im Krankenhaus übernehmen.
Inhaltsverzeichnis
Neuer Beruf: Klinische Fachspezialistin/Klinischer Fachspezialist
Das Berufsbild Klinischer Fachspezialist/Klinische Fachspezialistin ist in der Schweiz noch relativ neu. In angelsächsischen Ländern sieht das anders aus. Hier ist der “Physician Associate” oder “Physician Assistant” bereits seit Langem etabliert.
In den USA gehört er seit den 1960er Jahren fest zum Personaltableau von Krankenhäusern. In der EU wurde das Modell vor etwa zehn Jahren eingeführt und findet seither zunehmend Verbreitung. In der Schweiz – Nicht-EU-Land – hat man angesichts des Ärztemangels in Krankenhäusern das Berufsbild erst kürzlich entdeckt.
Seit 2014 sind am Kantonsspital Winterthur “Clinical Nurses” im Einsatz – Pflegekräfte, die über ihre klassischen Aufgaben hinaus ärztliche Assistenzfunktionen wahrnehmen. Der Pilotversuch in Winterthur verlief so erfolgreich, dass die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) seit Ende 2016 eine anerkannte Weiterbildung zur/zum Klinischen Fachspezialistin/Fachspezialisten anbietet – beste Voraussetzung dafür, dass das Modell sich auch an anderen Krankenhäusern durchsetzt.
Ausbildung Klinische Fachspezialistin/Klinischer Fachspezialist – Voraussetzungen
Der auf ein Jahr ausgelegte Studienlehrgang findet am ZHAW Departement Gesundheit in Winterthur statt und schließt mit dem “Certificate of Advanced Studies (CAS) klinische Fachspezialistin/klinischer Fachspezialist” ab. Er richtet sich in erster Linie an Pflegekräfte, die sich weiterqualifizieren und neue berufliche Perspektiven erschließen wollen, steht aber auch Ärzten offen, die Praxisthemen vertiefen möchten.
Zugangsvoraussetzung ist eine anerkannte Ausbildung als Gesundheitsfachperson mit mindestens zweijähriger Berufspraxis. Bei “Gesundheitsfachperson” handelt es sich um eine übergreifende Schweizer Bezeichnung für bestimmte, amtlich definierte Berufsgruppen im Medizin- und Gesundheitsbereich.
Ausbildung Klinische Fachspezialistin/Klinischer Fachspezialist – Inhalt und Dauer
Der Studienlehrgang besteht aus drei Modulen: “Medizinische Grundlagen”, “Information – Kommunikation – Koordination ‘vom Eintritt bis zum Austritt’ ” und “Betriebliche und wirtschaftliche Aspekte – Organisation – Administration”. Anstelle des Moduls “Information – Kommunikation – Koordination” kann auch ein Modul mit onkologischem Schwerpunkt gewählt werden, allerdings müssen dann auch bereits Erfahrungen in der Onkologie bestehen. Im Weiterbildungsstudium geht es insgesamt um vertieftes medizinisches und um betriebswirtschaftlich-organisatorisches Know How.
Wissensvermittlung erfolgt über Vorlesungen, Fallstudien, Übungen, Gruppenarbeiten und im Selbststudium. Jedes Modul muss mit Leistungsnachweisen abgeschlossen werden. Pro Modul sind maximal 24 Teilnehmer zugelassen. Der Zeitaufwand für das Weiterbildungsstudium ist auf insgesamt 450 Stunden angelegt.
Klinische Fachspezialistin/Klinischer Fachspezialist – Kosten und Gehalt
Das Weiterbildungsstudium an der ZHAW ist nicht kostenlos. Es fallen Studiengebühren an, die sich aus Gebühren für die einzelnen Module (2.500,- CHF je Modul), Einschreibegebühr (300,- CHF) und Prüfungsgebühr (200,- CHF) zusammensetzen. Zusammen sind das 8.000.- CHF. Dabei sind Kosten für Anreisen, Unterbringung, Lebenshaltung und Lernmaterialien noch nicht mitgerechnet. Wer sich entsprechend weiterbilden möchte, muss auch finanziell einiges investieren.
Aber der Aufwand lohnt sich. Denn ein/e Klinische/r Fachspezialist/in kann mit einem deutlich höheren Gehalt als eine reine Gesundheitsfachperson rechnen. Der Standardlohn für eine Gesundheitsfachperson liegt in einer Größenordnung von 4.400,- CHF bis 4.800,- CHF p.m.. Ein Assistenzarzt verdient rund 7.500,- CHF. Klinische Fachspezialist/innen dürften dazwischen angesiedelt sein. Ein Lohn-Plus von rund 1.500,- CHF p.m. ist nicht unrealistisch, was natürlich auch von den jeweils aushandelbaren Konditionen abhängt.
Der Beruf Klinische Fachspezialistin/Klinischer Fachspezialist – Tätigkeiten und Alltag
Da das Berufsbild in der Schweiz neu ist und relativ wenig Stellen existieren, gibt es nur begrenzte Erfahrungen. Vom Konzept her sollen Klinische Fachspezialisten/innen Standard-Aufgaben übernehmen, die sonst dem behandelnden Arzt obliegen und ihn dadurch entlasten. Sie führen eigenständig Visiten bei Patienten durch, überwachen den Heilungsverlauf, verordnen flankierend Medikamente, melden in eigener Verantwortung Kranke für notwendige Untersuchungen an und bewerten die Ergebnisse vor.
Sie sind auch eingeschaltet, wenn Nachbehandlungen oder Plätze in der Rehabilitation organisiert werden sollen oder kümmern sich um medizinische Dokumentation und administrative Vorgänge. Die Letztverantwortung bleibt zwar stets beim Arzt, aber in diesem Rahmen handeln Klinische Fachspezialisten/innen eigenverantwortlich. Sie sind weit mehr als ausführende Organe, sie bilden mit dem Arzt ein Team zum Wohle des Patienten.