Übergewicht und Adipositas im Kindesalter sind ernstzunehmende Gesundheitsrisiken. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht in der steigenden Neigung zum Übergewicht bei Kindern eine der grössten Herausforderungen im Gesundheitsbereich für das 21. Jahrhundert. Um herauszufinden, wie viele Schweizer Kinder übergewichtig oder adipös sind, haben vier Schweizer Organisationen eine Langzeitstudie an 5- bis 6-jährigen Schulkindern aus Genf durchgeführt und die Ergebnisse mit anderen Schweizer Regionen verglichen.
Langzeituntersuchung an Genfer Schulen
Übergewicht und Adipositas im Kindesalter werden zu immer grösseren Problemen. Ein 2016 veröffentlichter Report der WHO zeigt, dass der Anteil der übergewichtigen und adipösen Kinder und Jugendlichen in 40 Jahren von elf Millionen auf 124 Millionen angestiegen ist. Betroffen sind dabei sowohl Kinder und Jugendliche aus Ländern mit hohem und mittlerem als auch solche aus Ländern mit niedrigem Durchschnittseinkommen.
Nehmen auch Schweizer Schulkinder an Gewicht zu? Dieser Frage sind Wissenschaftler von vier Institutionen nachgegangen: Das Institute of Global Health an der Universität Genf, der Service de santé de la jeunesse Geneva, der Cantonal Health Service Geneva und das Zentrum für Suchtmedizin an der Fakultät für Psychiatrie der Universität Lausanne haben eine Langzeitstudie unter 5- bis 6-Jährigen durchgeführt. Über 15 Jahre hinweg, von 2003 bis 2018, haben die Wissenschaftler den BMI von Kindern aus dieser Altersgruppe gemessen. Die Messungen wurden zu neun spezifischen Zeitpunkten durchgeführt, jeweils an Genfer öffentlichen Schulen. Insgesamt 12’918 Mädchen und 13’395 Jungen nahmen an der Studie teil.
Welcher BMI bei Kindern als normalgewichtig gilt, hängt vom Alter und Geschlecht ab. Für ihre Studie orientierten sich die Forscher an den Vorgaben der International Obesity Task Force (IOTF): Als übergewichtig gelten dabei Kinder mit einem ISO-BMI von über 25. Adipositas, also ein deutlich erhöhter Körperfettanteil, liegt ab einem BMI von über 30 vor.
14,6 Prozent der 5- und 6-Jährigen sind übergewichtig oder adipös
Im letzten Messzeitraum 2017 – 18 sind 14,6 Prozent der untersuchten Schülerinnen und Schüler übergewichtig oder adipös. Der Anteil der übergewichtigen Schüler liegt bei 10,3 Prozent, der Anteil der adipösen Kinder bei 4,3 Prozent. Im Vergleich zu den Vorjahren blieb der Anteil der übergewichtigen Kinder stabil, mit leichten Schwankungen in einzelnen Messzeiträumen. Beim Anteil der adipösen Kinder zeigt sich ein Anstieg, der allerdings nicht kontinuierlich verläuft: Im Messzeitraum 2003 – 04 lag der Anteil bei 3,6 Prozent. In den Folgejahren war sogar ein leichter Rückgang auf bis zu 2,5 Prozent in den Jahren 2010 – 11 zu verzeichnen, bevor es zum Anstieg auf den aktuellen Wert kam.
Aufgeteilt nach Geschlechtern zeigen sich die folgenden Ergebnisse: Im letzten Messzeitraum sind 14,5 Prozent der Mädchen übergewichtig, 4,5 Prozent adipös. Bei den Jungen liegt der Anteil der übergewichtigen Kinder bei 5,9 Prozent, 4,2 sind adipös. Der Anteil der übergewichtigen Mädchen stieg von der ersten Messung in 2003 – 04 um 2,5 Prozentpunkte an, der Anteil der übergewichtigen Jungen ging um 2,7 Prozentpunkte zurück. Die Forscher halten jedoch beide Entwicklungen für nicht signifikant.
Anders schätzen sie die Entwicklung bei den Kindern mit Adipositas ein. Deren Wert nahm von 2010 bis zum letzten Messzeitraum um 1,9 Prozentpunkte zu. Den Wissenschaftlern zufolge ist dies eine statistisch signifikante Entwicklung, die weiter beobachtet und in der Gesundheitspolitik stärker berücksichtigt werden sollte.
Laut den Forschern sind die Ergebnisse aus Genf konsistent mit den Ergebnissen aus anderen Schweizer Städten sowie mit weltweit durchgeführten Untersuchungen.
Gesundheitsrisiko Übergewicht in der Kindheit
Die Gründe für Übergewicht und Adipositas im Kindesalter sind vielfältig. Unter anderem spielen erbliche Faktoren eine Rolle. Vorangegangene Studien wie beispielsweise eine Untersuchung des deutschen Robert-Koch-Instituts (RKI) haben zudem einen Zusammenhang zu sozioökonomischen Faktoren festgestellt. Jungen und Mädchen aus sozial benachteiligten Familien sind demnach dreimal so häufig adipös wie Kinder aus Familien mit hohem Sozialstatus. Das höchste Risiko für Übergewicht haben dabei Kinder, deren Eltern ebenfalls übergewichtig sind.
Das frühzeitige Übergewicht hat negative Auswirkungen auf Gesundheit und Psyche. Bereits bei Kindern kann Übergewicht zu Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und Diabetes führen. Viele Kinder mit hohem BMI bleiben auch im Erwachsenenalter übergewichtig, was nicht reversible Krankheiten zur Folge haben kann. Hinzu kommen soziale Folgen wie Mobbing und Ausgrenzung in der Schule sowie Diskriminierung. Das wiederum befördert die Entwicklung psychischer Erkrankungen wie Depressionen, Angstzustände, ein gestörtes Körperbild und geringes Selbstbewusstsein.