Die fortschreitende Digitalisierung bietet für das Gesundheitswesen grosse Chancen. Die Schweizer Bevölkerung ist durchaus bereit, digitale Angebote anzunehmen. So suchen laut einer OECD-Erhebung zwischen 47 und 68 Prozent der 16- bis 74-Jährigen online nach Gesundheitsinformationen. Im Vergleich mit anderen Branchen hinken die Schweizer Spitäler bei Einrichtung und Angebot digitaler Prozesse jedoch hinterher. Das zeigt eine Umfrage der Unternehmensberatung Synpulse.
Ausgaben für Informations- und Kommunikationstechnologie im Branchenvergleich
Für ihren Report haben die Unternehmensberater von Synpulse von Oktober 2019 bis Januar 2020 insgesamt mehr als 300 Angestellte im Gesundheitswesen aus 26 Schweizer Spitälern befragt. Neben Ärztinnen und Ärzten nahmen auch Pflegefachkräfte, Mitarbeiter aus der IT und der Unternehmensentwicklung und Spitaldirektoren an der Umfrage teil. Rund zwei Drittel von ihnen sehen das Spitalwesen bei der Einrichtung digitaler Angebote klar im Hintertreffen im Vergleich zu anderen Branchen.
Das zeigt sich unter anderem an den Ausgaben, die in Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) fliessen. Das Gesundheitswesen liegt hier deutlich hinter anderen Branchen zurück. Im Jahr 2015 tätigte die Finanzindustrie beispielsweise die Hälfte ihrer Bruttoinvestitionen in ICT. Der Gesundheitssektor kommt auf nicht einmal zehn Prozent. Lediglich die Bereiche Soziale Arbeit und Pharma investierten noch weniger in ICT.
Gemessen an der Gesamtwirtschaftsleistung der Gesundheitsbranche flossen 2015 nur 0,6 Prozent davon in digitale Informations- und Kommunikationsmittel. Das Gesundheitswesen liegt damit im Branchenvergleich auf dem vorletzten Platz, vor dem Bereich Soziale Arbeit. Auf dem ersten Platz steht abermals die Finanzindustrie, die rund 2,75 Prozent ihrer Gesamtwirtschaftsleistung für ICT ausgab.
Welches Potenzial bergen digitale Angebote für Spitäler?
Investieren Spitäler in digitale Prozesse, steht dabei vor allem die Ablösung bisheriger papierbasierter Strukturen im Vordergrund. Der Fokus liegt auf der Einführung des Krankenhausinformationssystems (KIS) und dem elektronischen Patientendossier (EPD). Diese Angebote bringen für Patienten und Spitalmitarbeiter bereits Vorteile – der Synpulse-Report betont jedoch, dass im digitalen Spital noch weitaus mehr Potenzial besteht. Den Autoren zufolge sollen digitale Angebote dazu beitragen, Strukturen und Prozesse an den Patientenbedürfnissen auszurichten. Dazu solle die Digitalisierung entlang dreier Dimensionen erfolgen:
- Patientenpfad: Der Patient soll vor, während und nach dem Spitalaufenthalt durch digitale Angebote begleitet und informiert werden. Patienten vereinbaren zum Beispiel Termine online, erhalten einige Tage zuvor eine Erinnerung aufs Smartphone und können nötige Informationen und Dokumente vor dem Spitalantritt online einreichen. Während des Spitalaufenthalts unterstützen digitale Prozesse die ärztliche Konsultation, Medikamentenpläne und Entlassungspapiere können in digitaler Form bereitgestellt werden. Nach dem Spitalaufenthalt kann der Patient online Nachfolgetermine vereinbaren und verwalten und erhält auf diesem Wege auch Informationen zur Nachsorge.
- Interne Prozesse: Die digitale Unterstützung von Kern- und Supportprozessen soll Arbeitsabläufe effizienter gestalten und zur Versorgungsqualität und Patientensicherheit beitragen.
- Partner/Ökosystem: Digitale Schnittstellen zu externen Partnern sollen wertschöpfende Prozesse optimal ausnutzen und zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle führen.
In der Realität wird das Potenzial noch nicht ausgenutzt
Wie ist es nun in der Realität um die Digitalisierung der Spitäler bestellt? Laut der Synpulse Umfrage meinen 63 Prozent der Spitalexperten, dass digitale Angebote noch nicht wie in anderen Branchen ins Spitalwesen vorgedrungen sind. Nur knapp die Hälfte der Befragten sieht ihr Spital im Bereich der digitalen, klinischen Dokumentation in einer Vorreiterrolle. 41 Prozent halten ihr Spital für einen Vorreiter im Bereich der digitalen und mobilen Infrastruktur, 25 Prozent im Bereich der digitalen Patientenkommunikation.
Danach befragt, welche digitalen Geräte oder Prozesse zum Einsatz kommen, geben 72 Prozent an, dass ihr Spital Instrumente zur digitalen, klinischen Dokumentation wie beispielsweise die elektronische Patientenkurve nutzt. 32 Prozent erklären, dass in ihrem Spital mobile Endgeräte verwendet werden. In weiteren zwölf Prozent der Spitäler steht der Einsatz mobiler Endgeräte zumindest in der Diskussion. In jeweils vier Prozent der Spitäler werden Systeme zur elektronischen Entscheidungsunterstützung und Anwendungen auf Basis künstlicher Intelligenz (KI) verwendet. KI-Anwendungen befanden sich zum Zeitpunkt der Umfrage in weiteren vier Prozent der Spitäler in Umsetzung, in 12 Prozent der Häuser wurde ihr Einsatz diskutiert.
Keiner der Befragten gibt an, dass in seinem Spital digitale Kommunikationsmöglichkeiten zum Einsatz kommen, die über blosse E-Mails hinausgehen. Dazu gehören etwa Chats, Videoanrufe oder Chatbots. In immerhin zwölf Prozent der Spitäler befinden sich derartige Angebote aktuell in Umsetzung.
Warum kommt die Digitalisierung der Schweizer Spitäler nur langsam voran?
Was steht einem grösseren Angebot digitaler Prozesse in Schweizer Spitälern im Wege? Die Synpulse-Autoren haben die Spitalexperten nach ihrer Einschätzung befragt. Die Ergebnisse:
- 58 Prozent glauben, dass personeller Ressourcenmangel die Einführung digitaler Anwendungen und Prozesse verhindert.
- 48 Prozent gehen davon aus, dass sich externe Faktoren wie regulatorische Hürden oder fehlende Hürden negativ auf den Digitalisierungsprozess auswirken.
- 43 Prozent geben an, dass dem Digitalisierungsprozess im Spital zu wenig Priorität eingeräumt wird.
- 42 Prozent bemängeln ein fehlendes “digitales Mindset”. Umfrageteilnehmer aus den Bereichen IT und Medizintechnik sowie der Unternehmensentwicklung sehen diesen Faktor sogar als noch bedeutender an. 60 Prozent der IT- und Medizintechniker sowie 53 Prozent der Beschäftigten aus der Unternehmensentwicklung halten dies für einen Hinderungsfaktor.
- 40 Prozent denken, dass ein unzureichendes Budget zur Verfügung steht.
64 Prozent der Befragten bestätigen ihrem Spital immerhin, ein systematisches Innovationsmanagement zu verfolgen und damit die organisatorischen Grundlagen zur Digitalisierung zu schaffen.