Gesundheit ist den Schweizerinnen und Schweizern viel wert. In punkto Leistungsstärke und Leistungsqualität steht das Schweizer Gesundheitssystem in Europa an der Spitze. Gleichzeitig ist es mit am teuersten. Und ein Ende der Kostensteigerungen ist nicht in Sicht. Folgt man einer Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG), könnten die Gesundheitskosten sich ohne wirksame Gegenmassnahmen bis 2040 sogar verdoppeln.
Gemessen am Bruttoinlandsprodukt leistet sich in Europa nur Deutschland mehr für die Gesundheit seiner Bevölkerung als die Schweiz. In absoluten Zahlen erreichten die Schweizer Gesundheitsausgaben im Jahr 2020 – dem letzten Vor-Pandemie-Jahr – beachtliche 82 Mrd. Franken. Im Vergleich zur Jahrtausendwende sind die Gesundheitskosten damit um fast 80 Prozent gestiegen. Das ist rund das Doppelte des Schweizer Wirtschaftswachstums im gleichen Zeitraum.
Drei Szenarien zeigen möglichen Anstieg der Gesundheitskosten – teurer wird es immer
Noch stärker als die Ausgaben haben sich die durchschnittlichen Krankenkassen-Prämien erhöht. In der obligatorischen Krankenversicherung lag die durchschnittliche Jahresprämie zum Millenniums-Wechsel noch bei gut 2.000 Franken, im Jahr 2020 waren es schon fast 3.800 Franken – eine Zunahme um ca. 90 Prozent. Wie entwickeln sich die Gesundheitsausgaben weiter? Die BCG-Studie hat dafür drei Szenarien durchgerechnet und eine Prognose mit dem Zeithorizont 2040 erstellt:
- Rechnet man die Entwicklung der vergangenen Dekade hoch, ergibt sich bis 2040 eine Kostensteigerung auf 155 Mrd. Franken – nochmal ein Zuwachs um rund 90 Prozent. Dabei wird unterstellt, dass es durch kostenstabilisierende Massnahmen gelingt, eine noch stärkere Kostendynamik abzubremsen.
- Ohne eine solche „Kostenbremse“ erwarten die BCG-Analysten sogar einen Ausgabenanstieg bis auf mehr als das Doppelte des heutigen Niveaus.
- Selbst bei nachhaltig kostendämpfenden Massnahmen gehen die Experten immer noch von ca. zwei Drittel höheren Gesundheitskosten im Jahr 2040 aus.
Wo liegen die Ursachen und welche Ansätze sind denkbar?
Die Quintessenz aus diesen Szenarien lautet: deutlich teurer wird die Gesundheitsversorgung in der Schweiz auf jeden Fall. Das impliziert auch weiter steigende Krankenkassen-Prämien. Offen ist nur, in welchem Ausmass Mehrausgaben anfallen werden und wie viel die Krankenversicherung künftig tatsächlich kosten wird. Was sind die Ursachen für den Kostenanstieg? Die Antworten auf diese Frage weisen gleichzeitig auf mögliche Ansätze zur Kostendämpfung hin.
- Grundsätzlich schlagen sich im Gesundheitswesen allgemeine Kostensteigerungen nieder wie in anderen Branchen auch. Im Zeitablauf steigende Löhne und Gehälter, höhere Preise für Ausstattung und Betriebsmittel, medizinische Materialien, Geräte und Verbrauchsstoffe führen zwangsläufig zu im Zeitablauf steigenden Kosten. Gegen diesen „inflationären“ Trend lässt sich wenig unternehmen.
- Neue Behandlungsverfahren und innovative, besser wirksame Medikamente sind oft ebenfalls mit höheren Kosten verbunden. Das ergibt sich allein schon aus den notwendigen Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Auch in diesem Bereich ist Kostendämpfung nur begrenzt möglich, will man nicht auf medizinische Versorgung nach den neusten und besten Standards verzichten.
- Ein weiterer Kostentreiber ist die demografische Entwicklung. Die Schweizer Bevölkerung altert stark. Zugleich wächst die Bevölkerung durch Zuwanderung. Mehr Einwohner/innen bedeuten per se einen Mehrbedarf an medizinischer Versorgung. Aber auch die Verschiebung der Alterspyramide wirkt sich bei den Gesundheitsausgaben aus. Ältere Menschen werden häufiger ernsthaft krank und benötigen intensivere medizinische Versorgung. Dadurch steigen Kosten überproportional. Dieser Aspekt wird auch von den BCG-Experten erkannt, sie warnen aber davor, dies als die Hauptursache für die drohende „Kostenexplosion“ zu sehen.
- Ein weiterer Kostenfaktor wird laut der BCG-Studie dagegen oft vernachlässigt: Ineffizienzen im System und medizinische Überversorgung.
Im Vergleich sei das Schweizer Gesundheitssystem durch eine sehr hohe Betreuungsdichte gekennzeichnet. Es gebe deutlich mehr Betten und Ärzte pro Patienten als in anderen Ländern. Zugleich weist die Studie auf Indizien für Überbehandlung hin – besonders im orthopädischen Bereich. Die Schweiz liege zum Beispiel bei OPs für künstliche Kniegelenke auffällig über dem europäischen Durchschnitt. Möglicherweise liege das an Fehlanreizen durch das Vergütungsmodell für Ärzte/-innen und Spitäler sowie an falschen Zielvorgaben wie einer Mindestanzahl an pro Jahr zu erreichenden Operationen.
Die Autoren der Studie schlagen vor diesem Hintergrund drei Ansätze zur Kostendämpfung vor:
- Das Gesundheitssystem müsse grundsätzlich transparenter werden, um Ineffizienzen besser erkennen und unnötige Mehrkosten von vornherein vermeiden zu können.
- Die Digitalisierung biete viele Potentiale für Kosteneinsparungen, die derzeit noch unzureichend genutzt würden. Trotz umfangreicher Investitionen in diesem Bereich würden nach wie vor Daten mehrfach gesammelt und getrennt voneinander verwaltet. Es sei dringend nötig, das „Silo-Denken“ zu überwinden, um Synergieeffekte durch bessere Vernetzung zu ermöglichen und zu nutzen.
- Der Ausbau der Prävention kann dazu beitragen, Gesundheitskosten erst gar nicht entstehen zu lassen. Durch wirksame Vorbeugung werde manche medizinische Behandlung überflüssig.
Wie schon festgestellt: höhere Gesundheitskosten und Krankenkassen-Prämien werden auch diese Massnahmen nicht verhindern. Sie können aber dazu beitragen, den Anstieg zu bremsen.