Nach der Zürcher Gesundheitsdirektion schlägt nun auch der Vorstand des Interessenverbands Notfallpflege Schweiz Alarm: Die Situation auf den Notfallstationen sei prekär, Ärzte/-innen sowie das Pflegepersonal seien überlastet. Zur Abhilfe schlägt der Vorstand der Interessenvertretung eine Reihe von Massnahmen vor, unter anderem selbstbestimmte Arbeitszeitmodelle, eine Überarbeitung der Lohnstrukturen sowie eine öffentliche Aufklärungskampagne.
Notfallpflege: Stationen stark ausgelastet
Die auf den Notfallstationen beschäftigten Berufsgruppen machten bereits vor Beginn der Corona-Pandemie auf die steigende Belastung durch kontinuierlich zunehmende Patientenzahlen aufmerksam. Die Pandemie hat die Situation in den vergangenen beiden Jahren noch verschärft. Die starke Auslastung der Notfallstationen ist jedoch nicht nur auf den Wiederanstieg der Corona-Fallzahlen zurückzuführen. Auch die Zahl von Patienten/-innen mit weiteren hochkomplexen Krankheitsbildern nimmt zu und beansprucht Zeit und Ressourcen. Hinzu kommt, dass immer mehr Patienten/-innen Notfallstationen für medizinische Erstkonsultationen aufsuchen, anstatt zum Hausarzt zu gehen.
Die Corona-Pandemie hat nicht nur die Zahl der Notfallbehandlungen in die Höhe schnellen lassen, sondern auch zu zusätzlichen Ausfällen von Pflegepersonal geführt. Die zunehmende Belastung des Personals hat wiederum zur Folge, dass die Fehlerquote steigt und es häufiger zu Meldungen von unerwünschten Ereignissen kommt. Angesichts einer zu erwartenden neuen Infektionswelle im Herbst 2022 hält es der Interessenverband Notfallpflege Schweiz für dringend notwendig, das Personal auf den Notfallstationen zu entlasten.
Konkrete Forderungen zum Abbau des Personalnotstands
In einem Schreiben vom 19. Juli 2022 stellt die Interessenvertretung konkrete Forderungen, die von der Politik sofort umgesetzt werden sollten:
- Um die bestehende Belegschaft zu entlasten und fehlende Ressourcen auszugleichen, sollen sofort zusätzliche Pflegestellen auf den Notfallstationen geschaffen werden.
- Die Einführung neuer und selbstbestimmter Arbeitszeitmodelle mit mehr Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf, Freizeit und Familie soll Pflegeberufe attraktiver machen.
- Die Lohnstrukturen für diplomierte Experten und Experten Notfallpflege NDS HF sollen neu beurteilt werden.
- Eine öffentliche Sensibilisierungskampagne soll die Bevölkerung über alternative Behandlungsangebote bei nicht schwerwiegenden Verletzungen und Erkrankungen informieren.
Öffentlichkeit besser aufklären
Eigentlich sollten der/die Hausarzt/-ärztin der/die erste Ansprechpartner/in bei nicht dringenden medizinischen Problemen sein. Immer mehr Schweizer/-innen suchen jedoch direkt die Notfallstation auf. Die vorgeschlagene Öffentlichkeitskampagne soll der Bevölkerung unter anderem vermitteln, dass Notfallstationen Patienten/-innen nach Dringlichkeit behandeln. Wer mit einem weniger akuten Problem in die Notfallstation kommt, muss lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Weiterhin soll die Kampagne über Alternativangebote informieren. Bei milden Beschwerden kann zum Beispiel schon ein Besuch in der Apotheke Abhilfe schaffen.
Bereits zuvor hatten die Zürcher Gesundheitsdirektion, die Zürcher Ärztegesellschaft und der Verband der Zürcher Krankenhäuser (VZK) der Bevölkerung nahegelegt, bei nicht lebensbedrohlichen Problemen zunächst das Aerztefon zu nutzen, anstatt in die Notfallstation zu kommen.
Eine Gebühr für ein Aufsuchen der Spitalnotfallpflege, wie sie der grünliberale ehemalige Nationalrat Thomas Weibel vorgeschlagen hat, lehnt die Interessenvertretung jedoch ab. Weibel hatte angeregt, dass Patienten/-innen für jeden Besuch der Notfallstationen eine Gebühr von etwa 50 Franken entrichten sollen. Die Erhebung einer Gebühr sei jedoch mit zusätzlichem administrativem Aufwand verbunden und würde daher nicht zu einer Entlastung des Pflegepersonals führen, so der Interessenverband der Beschäftigten.
Lohnstrukturen umgestalten und Arbeit wertschätzen
Für vielversprechender als eine Notfallstationen-Gebühr hält der Interessenverband eine Umgestaltung der Lohnstrukturen. Als positives Beispiel nennt der Interessenverband die Stadt Zürich und den Kanton Freiburg. In Zürich werden 70 Prozent der 4’000 beschäftigten Pflegefachpersonen in ihrer Funktion höher eingestuft und erhalten dadurch mehr Lohn. Die Stadt begründet die Höherstufung mit den gestiegenen Anforderungen an Pflege und Betreuung. Der Staatsrat des Kanton Freiburg hat die Gehälter der Pflegefachkräfte mit Fachausbildung Notfallpflege und Intensivpflege ebenfalls aufgewertet. Für die auf den Notfallstationen beschäftigten Fachkräfte bedeutet dies auch eine gestiegene Wertschätzung ihrer Arbeit.