Temporärarbeit statt Vollzeitstelle: Zumindest in den USA verabschieden sich immer mehr Ärzte/-innen vom klassischen Karriereweg und entscheiden sich für zeitlich befristete Verträge. Gründe dafür sind unter anderem Überlastung und Burnout sowie der Wunsch nach mehr Flexibilität. Die Zeitarbeit geht zudem mit einer höheren Entlohnung einher, bringt aber auch neue Herausforderungen mit sich.
Abkehr vom traditionellen Karriereweg
Rund sieben Prozent der in den USA tätigen Ärzte/-innen praktizieren mittlerweile auf Basis von Zeitarbeitsverträgen. Das entspricht 50’000 Mediziner/innen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht des Wall Street Journals, basierend auf den Daten der medizinischen Personalvermittlungsfirma CHG Healthcare. Im Vergleich zu 2015 hat die Zahl der Ärzte/-innen, die sich für die Temporärarbeit entscheiden, um 90 Prozent zugenommen.
Während Mediziner/innen Zeitarbeitsverträge in der Vergangenheit vor allem als Übergang zum Ruhestand nutzten, wählen heute schon Berufseinsteiger diesen Weg. Ihr Arbeitsleben wird dadurch wesentlich flexibler: Ein Arzt berichtet, dass er 20 von 30 Tagen arbeitet und sich zehn Tage freinimmt. Ein anderer Arzt verbringt im Monat beispielsweise eine Woche im Spital, fünf bis acht Tage mit Telemedizin von zu Hause aus und mit einem Einsatz in einem Regional- oder Universitätsspital. Damit reagieren die jungen Mediziner/innen auch auf den grossen Personalbedarf, der vor allem in US-Regionalspitälern besteht. Besonders gefragt sind Kardiologen/-innen, Chirurgen/-innen, Onkologen/-innen und Lungenfachärzte/-innen.
Weniger Druck, mehr Flexibilität: Aus diesen Gründen steigen Ärzte/-innen auf Zeitarbeit um
Der Wunsch nach mehr Flexibilität ist ein Grund, der Ärzte/-innen auf Zeitarbeit umsteigen lässt. Darüber hinaus versuchen Mediziner/innen durch die zeitlich befristete Arbeit, dem hohen Produktivitätsdruck einer Vollzeitstelle zu entkommen. In einer 2023 veröffentlichten Medscape-Umfrage unter rund 9’100 Ärzten/-innen beschreibt die Mehrheit der Befragten sich selbst als ausgebrannt. Im Jahr 2018 waren es noch 42 Prozent. Fast ein Viertel der Befragten sagt, dass sie in Folge ihres Burnouts ihren Beruf aufgegeben oder ihre Praxis verkauft hätten.
Wie ein Arzt gegenüber dem Wall Street Journal erklärt, musste er sich zunächst während Nachtschichten oft um 20 oder mehr schwer erkrankte Patienten/-innen kümmern, während die anschliessende Vollzeitstelle Arbeitszeiten von 60 bis 80 Stunden pro Woche mit sich brachte. Ein Grossteil dieser Zeit entfiel auf Büroarbeit. Zeitlich befristete Beschäftigungen lassen den Mediziner/innen mehr Zeit, um sich um ihr Privatleben und ihr eigenes physisches wie psychisches Wohlergehen zu kümmern. Während ihrer Arbeit können sie sich zumeist auf die Patientenversorgung konzentrieren, Meetings und administrative Aufgaben reduzieren sich.
Ein weiterer Grund für den Wechsel: Die Temporärarbeit bedeutet oft auch ein höheres Gehalt. Ärzte/-innen auf Zeit können in den USA 30 bis 50 Prozent mehr verdienen als ihre fest angestellten Kollegen/-innen – je nach Fachrichtung auch mehr. Gynäkologen/-innen für Geburtshilfe kommen so etwa auf 140 US-Dollar in der Stunde, Notfallmediziner/innen sogar auf bis zu 300 US-Dollar Stundenlohn. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass Ärzte/-innen in Zeitarbeit selbst für ihre Altersvorsorge aufkommen müssen.
Zeitarbeit bringt neue Herausforderungen mit sich – für Ärzte/-innen und Patienten/-innen
Der Wechsel in die Temporärarbeit hat jedoch nicht nur Vorteile, sondern bringt auch einige neue Herausforderungen mit sich. Befristet beschäftigte Ärzte/-innen müssen zum Beispiel für die Tätigkeit in jeder neuen Einrichtung und jedem neuen Bundesstaat eine eigene Zulassung oder Genehmigung erwerben. Die Absicherung gegen Kunstfehler-Klagen erfolgt für gewöhnlich über die Zeitarbeitsagenturen, welche die Mediziner/innen vermitteln. Das Risiko einer Klage variiert jedoch stark von Bundesstaat zu Bundesstaat.
Die zeitlich befristete Anstellung bedeutet zudem, dass sich Ärzte/-innen schnell ins neue Arbeitsumfeld einarbeiten müssen. In manchen Fällen sind sie die einzigen Ärzte/-innen ihrer Fachrichtung im jeweiligen Spital. Grosses Fachwissen und flexible Anpassungsfähigkeit sind daher Voraussetzungen für die Zeitarbeit.
Die Spitäler wiederum müssen sich auf eine hohe Personalfluktuation umstellen. Einige Ärzte/-innen befürchten, dass diese Fluktuation sich negativ auf die Versorgung der Patienten/-innen auswirken könnte, insbesondere in Feldern, in denen eine hohe Kontinuität von Bedeutung ist, etwa in der Onkologie oder der Geburtshilfe.