In den letzten drei Jahrzehnten hat der Medikamentenkonsum in der Schweiz stetig zugenommen, was Fragen zur gesundheitlichen und gesellschaftlichen Entwicklung aufwirft. Laut der “Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2022” hat mehr als die Hälfte der Bevölkerung innerhalb einer Woche vor der Erhebung ein Medikament eingenommen. Diese Entwicklung wirft wichtige Fragen zur gesundheitlichen Versorgung und zur psychischen Gesundheit in der Schweiz auf.
Steigender Medikamentenkonsum: Ein langfristiger Trend
Seit 30 Jahren verzeichnet die Schweiz einen stetigen Anstieg des Medikamentenkonsums. Während 1992 nur 38 Prozent der Bevölkerung innerhalb einer Woche ein Medikament einnahmen, ist dieser Anteil bis 2022 auf 55 Prozent gestiegen. Besonders stark betroffen sind Schmerzmittel, deren Nutzung von 12 Prozent im Jahr 1992 auf 26 Prozent im Jahr 2022 angestiegen ist. 2022 standen Antidepressiva an der Spitze der am häufigsten verschriebenen Medikamente in der Schweiz. Dieser Trend spiegelt eine zunehmende Anerkennung und Diagnose psychischer Erkrankungen wider, zeigt aber auch die wachsende Belastung der Bevölkerung durch Stress und psychosoziale Probleme. Insgesamt sind immer mehr Menschen auf Medikamente angewiesen, um ihre Gesundheit zu erhalten oder Beschwerden zu lindern.
Warum steigt der Medikamentenkonsum?
Mehrere Faktoren tragen zum Anstieg der Medikamentennutzung bei. Erstens hat die Alterung der Bevölkerung einen signifikanten Einfluss. Ältere Menschen benötigen häufiger Medikamente zur Behandlung chronischer Erkrankungen, die mit dem Alter zunehmen. Zweitens hat die medizinische Forschung in den letzten Jahrzehnten bedeutende Fortschritte gemacht, was zu einer breiteren Verfügbarkeit und einem breiteren Einsatz von Medikamenten geführt hat. Schliesslich spielt auch die zunehmende Akzeptanz von Medikamenten zur Behandlung von psychischen Problemen eine Rolle, was sich im verstärkten Einsatz von Antidepressiva und anderen Psychopharmaka widerspiegelt.
Schmerzmittelkonsum auf dem Vormarsch
Ein Viertel der Schweizer Bevölkerung greift regelmäßig zu Schmerzmitteln, ein signifikanter Anstieg gegenüber den 12 Prozent im Jahr 1992. Diese Entwicklung ist alarmierend, da Schmerzmittel, insbesondere Opioide, ein hohes Abhängigkeitspotenzial haben. Der zunehmende Einsatz von Opioiden in der Schweiz muss kritisch betrachtet werden, um negative Folgen wie die in den USA beobachtete Opioid-Krise zu vermeiden.
Geschlechterunterschiede im Medikamentenkonsum
Interessanterweise nehmen Frauen häufiger Medikamente ein als Männer. Laut der Gesundheitsbefragung 2022 gaben 59 Prozent der Frauen an, innerhalb einer Woche vor der Befragung ein Medikament eingenommen zu haben, verglichen mit 51 Prozent der Männer. Dieser Unterschied ist vor allem bei jüngeren Frauen im Alter von 15 bis 54 Jahren ausgeprägt, die vermehrt zu Schmerzmitteln greifen. Die Ursachen hierfür sind vielfältig und könnten auf unterschiedliche gesundheitliche Bedürfnisse sowie höhere Stressbelastungen zurückzuführen sein.
Mehr zu Stress im Berufsalltag:
Schlafstörungen und körperliche Beschwerden
Neben dem steigenden Medikamentenkonsum zeigen die Ergebnisse der Gesundheitsbefragung auch andere gesundheitliche Herausforderungen auf. Ein Drittel der Schweizer Bevölkerung leidet unter Schlafstörungen, die als eine der häufigsten gesundheitlichen Beschwerden gelten. Von diesen Betroffenen berichten 7 Prozent über schwere, pathologische Schlafstörungen, während 26 Prozent mittlere Schlafprobleme haben. Frauen sind dabei häufiger betroffen als Männer (37 Prozent gegenüber 29 Prozent), und die Prävalenz von Schlafstörungen nimmt mit zunehmendem Alter weiter zu. Seit 1997 ist der Anteil der Menschen mit Schlafstörungen von 28 Prozent auf 33 Prozent im Jahr 2022 angestiegen.
Mehr zum Thema Schlafstörung:
Auch körperliche Beschwerden wie allgemeine Schwäche und Rückenschmerzen sind weit verbreitet. Laut der Umfrage gaben 25 Prozent der Bevölkerung an, in den vier Wochen vor der Befragung unter starken körperlichen Beschwerden gelitten zu haben. Allgemeine Schwäche betrifft 46 Prozent der Befragten, wobei Frauen (54 %) häufiger betroffen sind als Männer (40 %). Rückenschmerzen sind ebenfalls ein häufiges Problem, das im Laufe der Jahre zugenommen hat.
Die Auswirkungen auf das Gesundheitssystem
Der kontinuierlich steigende Medikamentenkonsum belastet das Gesundheitssystem. Medikamente machen einen beträchtlichen Anteil der Gesundheitskosten aus, und mit dem steigenden Konsum wachsen auch die Ausgaben. Obwohl Medikamente nur etwa 10 bis 11 Prozent der gesamten Gesundheitskosten ausmachen, gibt es erhebliches Sparpotenzial durch den verstärkten Einsatz von Generika und eine kritischere Preisgestaltung.