In der Schweiz können Mediziner nach Abschluss des Humanmedizinstudiums eine fachärztliche Weiterbildung in einem von 45 zur Auswahl stehenden Fachbereichen beginnen. Doch wie findet man beim Berufsstart als Arzt den richtigen Fachbereich? Die passende Entscheidung zu treffen, fällt nicht jedem leicht. Der folgende Artikel bietet Entscheidungshilfen für die Wahl der richtigen fachärztlichen Weiterbildung.
Inhaltsverzeichnis
Mögliche Kriterien zur Auswahl des passenden Fachbereichs
In der Schweiz stehen Medizinern fachärztliche Weiterbildungen in 45 Fachbereichen zur Auswahl. Das fachärztliche Weiterbildungsangebot ist groß und nicht jeder entwickelt bereits während des Medizinstudiums Präferenzen und entscheidet sich direkt für den passenden Fachbereich. Auch wenn es die Möglichkeit gibt, die Fachrichtung während der Weiterbildungszeit zu wechseln, sollte man die Entscheidung nicht unterschätzen und sorgsam treffen. Der meisterworbene Facharzttitel in der Schweiz ist der Facharzt für Allgemeine Innere Medizin. Daneben sind die folgenden Fachrichtungen besonders beliebt:
- Chirurgie
- Psychiatrie und Psychotherapie
- Gynäkologie und Geburtshilfe
- Kinder- und Jugendmedizin
- Anästhesiologie
Um eine finale Entscheidung zu treffen, sollte man alle in Frage kommenden Fachrichtungen unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchten, alle Vor- und Nachteile abwägen und sich bewusst machen auf welche Aspekte (Beispiel: Freizeit, Aufstiegsmöglichkeiten, Gehalt) man besonders Wert legt. Eine Übersicht aller möglichen Fachbereiche gibt es hier:
Übersicht der Facharztweiterbildungen:
Die folgenden Punkte sollten hierbei Berücksichtigung finden:
Persönliche Interessen und Stärken
Wer noch keine passende Fachrichtung für sich ausmachen konnte, sollte zuallererst die eigenen Interessen, Stärken und Fähigkeiten notieren und sich die folgenden Fragen stellen.
Arbeite ich gerne direkt am Menschen?
Sofern diese Frage bejaht wird, können patientennahe Fachdisziplinen, wie zum Beispiel die Innere Medizin, die Kinder- und Jugendmedizin, die Psychiatrie/Psychotherapie, die Gynäkologie oder die Dermatologie als Fachgebiet berücksichtigt werden.
Schätze ich das direkte Gespräch und das Einfühlen in die Gedankenwelt des Gegenübers?
Wird diese Frage bejaht, können eine Weiterbildung in der Psychiatrie/Psychotherapie eine passende Wahl darstellen.
Fällt mir die Bewältigung von negativen Krankheitsverläufen schwer?
Sofern diese Frage bejaht wird, stellen die Disziplinen Hämatologie und Medizinische Onkologie keine gute Wahl dar und sollten vermieden werden.
Verfügen ich über eine gute Feinmotorik?
Bei zutreffender guter Feinmotorik sind chirurgische Fächer eine optimale Fachrichtung. Auch die Dermatologie eignet sich für Personen, die gerne feinmotorisch tätig sind, da auch hier je nach vorliegendem Befund kleine oder größere operative Eingriffe notwendig werden können.
Bin ich körperlich belastbar?
Körperliche Belastbarkeit ist vor allem in der Orthopädischen Chirurgie von Vorteil, wenn während operativer Eingriffe zum Teil große Krafteinwirkung erforderlich wird. Sofern dies zutrifft, stellt diese Fachrichtung eine gute Wahl dar.
Berufliche Ziele und Entwicklungsmöglichkeiten
Die Möglichkeit hierarchischer Aufstiege ist abhängig von der jeweiligen Fachrichtung. Chefarztpositionen in besonders beliebten Fachbereichen, wie beispielsweise der Orthopädie oder der Viszeralchirurgie sind aufgrund der Beliebtheit eher rar, während ein Karriereaufstieg in sogenannten Nischenfächern wie zum Beispiel der Infektiologie, der Allergologie, der Rechtsmedizin oder der Humangenetik eher möglich ist.
Arbeitsumfeld und Arbeitsbedingungen
In allen chirurgischen Fachbereichen sind die Arbeitszeiten besonders lang. Eine Studie aus dem Jahr 2023 ergab, dass die wöchentliche Arbeitszeit in der Chirurgie bei 62 Prozent der insgesamt 4.500 befragten Assistenzärzte zwischen 55 und 65 Stunden lag. Darüber hinaus zeichnen sich die chirurgischen Fachdisziplinen durch einen hohen Konkurrenzdruck aus, denn um den Facharzttitel zu erhalten, muss viel Zeit im Operationssaal verbracht werden und üblicherweise konkurrieren Assistenzärzte um die Möglichkeit, operative Eingriffe durchführen zu dürfen.
Auch in der Intensivmedizin sind lange und belastende Arbeitstage keine Seltenheit und auch mit den schweren Patientenschicksalen kann nicht jeder gut umgehen. Wer die Herausforderung nicht scheut und mit großem Druck umgehen kann, ist in chirurgischen Fachbereichen sicherlich gut aufgehoben, andernfalls eignen sich eher Fachbereiche wie die Innere Medizin oder die Kinder- und Jugendmedizin. Im besten Fall nimmt man die Möglichkeit einer Hospitation in Anspruch, um sich vor Ort vom Arbeitsklima der Fachabteilung zu überzeugen.
Work-Life-Balance
Wie eine Vergleichsstudie zeigt, haben schweizer Ärzte im internationalen Vergleich zwar die beste Work-Life-Balance, geregelte Arbeitszeiten sind im Klinikalltag aber in den meisten Fachrichtungen eher selten. Im Rahmen einer ärztlichen Tätigkeit in der Allgemeinmedizin bleibt jedoch üblicherweise genügend Zeit für einen Freizeitausgleich. Sofern eine gute Work-Life-Balance angestrebt wird, kann die Allgemeinmedizin daher eine gute Facharztwahl darstellen. Generell eignen sich jedoch alle Fachrichtungen, mit denen sich eine Praxisniederlassung umsetzen lässt, denn in der eigenen Praxis können Ärzte ihre Arbeitszeiten flexibler gestalten als in einem Anstellungsverhältnis. Wer Wert auf eine gute Work-Life-Balance legt und sich gleichzeitig eine Karriere außerhalb des Krankenhauses vorstellen kann, könnte auch eine Anstellung als Arbeitsmediziner bei einem Unternehmen ins Auge fassen.
Vergütung und finanzielle Perspektiven
Auch die finanziellen Perspektiven und Verdienstchancen sollten eine Rolle bei der Wahl des passenden Fachbereichs spielen. Ärzte gehören in der Schweiz grundsätzlich zu den bestbezahlten Berufsgruppen, dennoch gibt es zwischen den verschiedenen Fachgebieten zum Teil große Unterschiede in der Vergütung. Fachärzte in der Augenheilkunde, der Radiologie und Strahlentherapie oder der Neurochirurgie zählen zu den Topverdienern, wohingegen Ärzte in der Allgemeinmedizin oder der hausärztlichen Grundversorgung ebenfalls sehr gute, aber niedrigere Gehälter erzielen. Es lohnt sich zudem, über einen Fachbereich nachzudenken, in welchem man sich niederlassen kann, denn als niedergelassener Arzt kann man oftmals weit mehr verdienen als im Angestelltenverhältnis.
Entscheidungshilfen
Vielleicht konnte man bereits während des Medizinstudiums erste fachliche Vorlieben erkennen oder ist sich bereits sicher, in welchem Fachbereich man sich spezialisieren möchte. Wenn jedoch noch Unklarheiten bestehen, kann die Beantwortung der folgenden Fragen zur Entscheidungsfindung beitragen:
- Bin ich eher theoretisch oder handwerklich begabt?
- Bin ich kommunikativ oder passt besser eine Fachrichtung mit wenig Patientenkontakt?
- Wie lange dauert die Weiterbildungszeit im entsprechenden Fachgebiet?
- Wie groß ist die Konkurrenzsituation im Fachgebiet?
- Wie gut ist Fachrichtung mit einer Familie oder meinem möglichen Familienwunsch vereinbar?
- Kann man in der Fachrichtung ausschließlich im Krankenhaus tätig sein oder besteht auch die Möglichkeit einer Niederlassung in eigener Praxis?
- Wie gut sind die beruflichen Aufstiegschancen in der entsprechenden Fachrichtung?
Vor- und Nachteile der häufigsten Fachbereiche
Im Folgenden sind die Vor- und Nachteile der häufigsten ärztlichen Fachbereiche zusammengefasst.
Chirurgie
Vorteile:
- Vielseitiges und interessantes Fachgebiet
- Hohes gesellschaftliches Ansehen
- Gute Verdienstmöglichkeiten
Nachteile:
- Lange Ausbildungszeit
- Lange und teils unregelmäßige Arbeitszeiten
- Niederlassung nur bedingt möglich
Allgemeinmedizin
Vorteile:
- Viele Spezialisierungsmöglichkeiten
- Breites Behandlungsspektrum
- Anstellung in Klinik und Niederlassung möglich
Nachteile:
- In eigener Praxis sind auch Notfalldienste und Hausbesuche durchzuführen
- Geringere Verdienstmöglichkeiten
Anästhesiologie
Vorteile:
- Geregeltere Arbeitszeiten
- Gewisse Planungssicherheit, da üblicherweise im Schichtbetrieb gearbeitet wird und Dienstpläne daher mit genügend Vorlauf erstellt werden müssen
- Niederlassung möglich
Nachteile:
- Hohe Dienstbelastung
- Betreuung langer Operationen
Kinder- und Jugendmedizin
Vorteile:
- Viele interessante Teilgebiete
- Hohe Patientenbindung, da man diese oft von der Geburt bis ins Jugendalter betreut
- Möglichkeit zur Niederlassung
Nachteile:
- Umgang mit Eltern ist nicht immer einfach
- Teilweise Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit Sozialdiensten
- Aufgrund des allgemeinen Kinderärztemangels hohes Patientenaufkommen und lange Arbeitszeiten
Gynäkologie und Geburtshilfe
Vorteile:
- Langjährige Betreuung der Patientinnen
- Vielseitiges Fachgebiet, da man zwischen ambulanter und operativer Karriere wählen kann
- Gute Verdienstmöglichkeiten
Nachteile:
- In der Geburtshilfe muss auch mit Nachtschichten gerechnet werden
- Teilweise schwere Patientenschicksale
Psychiatrie und Psychotherapie
Vorteile:
- Vielseitige Krankheitsbilder
- Betreuung von Patienten jeden Alters
- Der zwischenmenschliche Fokus steht in diesem Fachgebiet im Vordergrund
Nachteile:
- Man muss mit Rückschlägen und Rückfällen von Seiten der Patienten klarkommen können
- Oftmals Patientenpopulation mit mangelnder Kooperation bei der Behandlung
- Man muss sich mit dem Thema „unfreiwillige Behandlung“ auseinandersetzen
Tipps zur weiteren Planung
Die folgenden Tipps können bei der Planung der Wahl der passenden Fachrichtung hilfreich sein:
- Vom Austausch mit Assistenzärzten profitieren und deren Erfahrungen erfragen
- Weiterbildungsprogramme und -verordnungen der jeweiligen Fachrichtungen vergleichen
- Internetauftritte der Fachabteilungen verschiedener Kliniken vergleichen (Wie ist die Betreuung der Assistenzärzte geregelt? Gibt es Mentoren, die für Fragen zur Verfügung stehen?)
- Hospitationen nutzen, denn hierdurch kann man sich einen ersten Eindruck über das Fachgebiet als auch über das Team und die möglichen Vorgesetzten machen
- Alle Vor- und Nachteile der in Frage kommenden Fachbereiche in eine Liste eintragen und final vergleichen
Fazit
Die Entscheidung für die passende Fachrichtung ist nicht immer einfach. Wer sich jedoch die eingangs erwähnten Entscheidungshilfen zu Nutze macht, eigene Interessen und Fähigkeiten berücksichtigt und zudem auf sein Bauchgefühlt hört, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit das passende ärztliche Fachgebiet finden.