Stress und Arbeitsbelastung in der Schweizer Ärzteschaft sind während der Corona-Pandemie gestiegen. Das geht aus einer repräsentativen Befragung des Forschungsinstituts gfs.bern im Auftrag der FMH hervor. Während viele Ärzte/-innen ihr Arbeitspensum zumindest vorübergehend erhöht haben, schätzen sie die Versorgungsqualität jedoch weiterhin als gut ein.
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FMH Umfrage: Gute Versorgungsqualität trotz höherer Belastung
Mit der Umfrage wollte die FMH unter anderem herausfinden, wie sich die Corona-Pandemie auf die Arbeitsbelastung der Ärzteschaft und die Versorgungsqualität ausgewirkt hat. Für die Erhebung wurden von Anfang Mai bis Mitte Juni 2022 insgesamt 1.547 Ärzte/-innen befragt.
Die Versorgungsqualität bewertet die Schweizer Ärzteschaft weiterhin als überwiegend gut. Unter den Spitalärzten/-innen in der Akutsomatik halten 86 Prozent der Befragten die Versorgungsqualität für gut oder sehr gut. In der Rehabilitation sind es 89 Prozent, in der Psychiatrie 74 Prozent. Das hat sich auch während der verschiedenen Phasen der Corona-Pandemie nicht wesentlich verändert. Mehr als drei Viertel der Spitalärzte/-innen in der Akutsomatik geben an, dass die Versorgungsqualität während des Lockdowns und der Corona-Wellen gut oder sehr gut gewesen sei. In der Psychiatrie sank dieser Anteil von ebenfalls mehr als drei Viertel im Verlauf der Pandemie leicht auf 68 Prozent. Eine Abweichung zeigt sich bei den praxisambulant tätigen Ärzten/-innen: Während des Lockdowns beurteilte nur knapp die Hälfte die Versorgungsqualität als gut oder sehr gut. Im weiteren Verlauf der Corona-Pandemie nahm dieser Anteil aber auf 75 Prozent zu.
Die überwiegende Mehrheit der Spitalärzte/-innen (88 Prozent) sagt zudem aus, dass den Patienten/-innen in der Schweiz die besten medizinischen Experten/-innen, Präparate und Geräte zur Verfügung stehen. In der Psychiatrie stimmen dieser Aussage 69 Prozent der Befragten zu, in der Rehabilitation 72 Prozent. Allerdings hat die Verfügbarkeit von Spitalärzten/-innen im Vergleich zu den Vorjahren abgenommen. Nur 55 Prozent der Befragten aus der Akutsomatik geben an, dass genügend Ärzte/-innen auf der Abteilung vorhanden sind. In der Rehabilitation und Psychiatrie sind diese Werte sogar noch niedriger und liegen bei 51 bzw. 40 Prozent. Vermutlich auch aus diesem Grund haben sich der Stress und die Belastung in der Ärzteschaft im Pandemieverlauf stark erhöht.
Pandemie hat Arbeitsbelastung erhöht
Insbesondere Spitalärzte/-innen berichten über steigenden Stress. 53 Prozent von ihnen geben an, im vergangenen Jahr häufig oder meistens Stress erlebt zu haben. Den höchsten Stand erreichte dieser Wert zur Hochphase der Corona-Pandemie im Jahr 2021. 47 Prozent der Befragten aus der Akutsomatik geben an, dass sich die berufliche Belastung während der vierten und fünften Corona-Welle erhöht hat. 29 Prozent leisteten während dieser Zeit ein höheres Arbeitspensum als gewöhnlich. Ähnliche Aussagen stammen von den Spitalärzten/-innen in der Psychiatrie und Rehabilitation. Unter den ambulant tätigen Ärzten/-innen haben 60 Prozent ihr Arbeitspensum während des Lockdowns reduziert oder ihre Arbeit sogar ganz eingestellt. Im weiteren Verlauf der Pandemie haben sie ihre Arbeit jedoch wieder aufgenommen und ihr Pensum erhöht.
Darüber hinaus steigt der Anteil der Befragten, die das Gefühl haben, ihr tägliches Arbeitspensum nicht mehr gemäss den beruflichen Anforderungen bewältigen zu können. Ein wachsender Anteil der Spitalärzte/-innen sieht die Patientenversorgung durch die hohe Arbeitsbelastung und den herrschenden Zeitdruck als gefährdet an. Besonders hoch ist dieser Anteil in der Psychiatrie mit 51 Prozent.
Hoher administrativer Aufwand und lange Wartezeiten
Zur hohen Arbeitsbelastung der Ärzteschaft trägt der steigende administrative Aufwand bei. In der Rehabilitation liegt der durchschnittliche Aufwand für ärztliche Dokumentationsarbeiten bei 125 Minuten pro Tag. Ein wichtiger Grund für diesen Anstieg ist der FMH zufolge die Einführung des neuen Tarifsystems ST Reha.
In der Akutsomatik ist der Aufwand für Dokumentationsarbeiten von 122 Minuten pro Tag im Jahr 2021 auf 111 Minuten im Jahr 2022 zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum stieg jedoch der zeitliche Aufwand für sonstige administrative Aufgaben, organisatorische Arbeiten und Korrespondenz von insgesamt 65 Minuten auf 89 Minuten am Tag. In der Psychiatrie verhält es sich ähnlich. Insgesamt sind Ärzte/-innen also doch länger mit administrativen Tätigkeiten beschäftigt als in den Vorjahren.
Zugenommen haben nach Aussage der Befragten auch die Wartezeiten im stationären Bereich. Rund die Hälfte der Spitalärzte/-innen aus der Psychiatrie und ein Drittel aus der Akutsomatik geben an, dass Patienten/-innen im Jahr 2021 rund einen Monat länger auf eine planbare Behandlung warten mussten als sonst üblich.
Im praxisambulanten Bereich und in der Rehabilitation lässt sich dieser Trend nicht beobachten: Rund ein Drittel der Befragten schätzt, dass Patienten/-innen im Durchschnitt null bis zweite Tage auf eine Behandlung warten müssen, ein Viertel gibt durchschnittliche Wartezeiten von drei bis sieben Tagen an.