Ärztliche Behandlungsfehler sind zwar selten, können für Patientinnen und Patienten aber lebensgefährliche Folgen haben. Selbst weniger schwerwiegende Fehlentscheidungen können zudem dazu führen, dass Ärztinnen und Ärzte selbst in eine Krise stürzen. Gerade jungen Medizinern machen ihre Fehler schwer zu schaffen. Die richtige Reaktion des Kollegiums trägt wesentlich dazu bei, diese Negativ-Spirale zu durchbrechen.
Behandlungsfehler: So wirken sie sich auf betroffene Ärzte aus
Unterläuft Ärzten ein Fehler, kann dies für Patienten schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Die Fehler belasten aber auch die behandelnden Mediziner selbst. Wie Patientensicherheitsforscher Prof. Dr. Reinhard Strametz berichtet, verarbeitet etwa ein Drittel aller Betroffenen einen eigenen Fehler auf dysfunktionale Weise. Das bedeutet, Mediziner verlieren das Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten und tragen sich mit Schuldgefühlen, die zu Schlafstörungen, Depressionen und Flashbacks führen können. Einige Betroffene isolieren sich oder geraten in eine Medikamenten- oder Alkoholabhängigkeit. Können Ärzte die Situation nicht angemessen verarbeiten, wirkt sich das negativ auf ihre Leistungsfähigkeit aus, was wiederum die sachgemässe Patientenversorgung gefährdet.
Es liegt also nicht zuletzt im Interesse der Patientensicherheit, dass Ärzte nach einem Fehler wieder Selbstvertrauen gewinnen. Voraussetzung dafür ist ein Umfeld, in dem Mediziner aus ihren Behandlungsfehlern lernen können.
Fehleranalyse statt Schuldzuweisungen
Strametz betont, dass gerade junge Ärzte, die noch wenig Erfahrung haben, eine medizinische Fehlentscheidung als gravierenden Rückschlag erleben können. Schuldzuweisungen, die das Selbstvertrauen der Betroffenen noch weiter schwächen, sind nun fehl am Platz. Stattdessen empfiehlt Stametz, den Fehler gemeinsam zu analysieren. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit beschreibt, wie eine solche Fehleranalyse ablaufen kann:
- Ereignisse und Entscheidungen für die Untersuchung identifizieren
- Mitglieder des Analyseteams auswählen
- Relevante Informationen zusammentragen (Patientenakte, Aussagen beteiligter Personen)
- Chronologischen Ablauf des Ereignisses festlegen
- Unsichere Handlungen identifizieren
- Beeinflussende Faktoren identifizieren
- Empfehlungen entwickeln und Umsetzungsplan erstellen
Eine solche Fehleranalyse hilft nicht nur den Betroffenen selbst, die Ursachen für ihre Fehlentscheidung zu erkennen und in Zukunft zu vermeiden. Das geteilte Wissen trägt auch dazu bei, das Kollegium zu sensibilisieren und auf typische Fehlerquellen aufmerksam zu machen. Das trägt zur Fehlervermeidung bei und verbessert dadurch die Patientensicherheit.
Kollegiale Unterstützung gefragt
Auch das Kollegium kann wesentlich dazu beitragen, die Resilienz der betroffenen Ärzte zu stärken und den Effekt von Traumatisierungen zu mindern. Strametz gibt die folgenden Handlungsempfehlungen.
1. Auszeit anbieten
Ärzte sollten die Chance auf eine kurze Auszeit von ihrer Tätigkeit zu erhalten, auch bei knapper Personalbesetzung. Ohne eine solche Pause steigt das Risiko, dass Mediziner in eine Negativ-Spirale geraten und eventuell längerfristig ausfallen.
2. Gespräche anbieten
Kollegiale Gespräche sollten nicht nur angeboten werden, wenn jemandem ein Behandlungsfehler unterläuft, sondern vielmehr zum Standard gehören. Insbesondere junge Mediziner profitieren davon, wenn sie sich regelmässig mit älteren und erfahrenen Kollegen austauschen können.
3. Nachbesprechungen
Ebenso sollten Routinen entwickelt werden, um belastende Situationen kurz, aber effektiv in einer Nachbesprechung Revue passieren zu lassen. Das hilft bei der Verarbeitung und zeigt zudem auf, wie man in Zukunft noch besser auf medizinische Herausforderungen reagieren kann.
4. Einfühlsame, klare Sprache
Für Nachbesprechungen und Fehlerbesprechungen sollte eine einfühlsame, aber eindeutige und klare Sprache gewählt werden.
5. Selbstwertgefühl stärken
Trotz klarer und deutlicher Sprache sollte bei den Besprechungen Wert darauf gelegt werden, die fachliche Kompetenz der Kollegen nicht herabzusetzen und ihr Selbstwertgefühl zu stärken.
6. Ängste und Emotionen zulassen
Betroffene sollten darin bestärkt werden, ihre Ängste und Emotionen zuzulassen.
7. Fachliche Unterstützung anbieten
Erfahrene Mediziner können ihre jungen Kollegen unterstützen, indem sie ihnen fachliche Unterstützung und Rückversicherung im klinischen Alltag anbieten.
8. Beteiligten eine Rolle bei der Fehleranalyse geben
Kommt es zur Fehleranalyse, sollte Beteiligten eine Rolle darin zugesprochen werden. Auch über die Ergebnisse sollten sie informiert werden.
9. Aufmerksam beobachten
Ist Kollegen ein Fehler unterlaufen, sollte man ihrem Verhalten Aufmerksamkeit schenken, um eine mögliche Isolierung und einen Rückzug so früh wie möglich zu erkennen und gegensteuern zu können.
10. Herabwürdigungen vermeiden
Herabwürdigendes Verhalten wie Lästereien, Schuldzuweisungen oder gar Mobbing sollten unterbunden werden. Betroffene sollten klar erkennen können, dass um Hilfe zu bitten kein Zeichen von Schwäche ist, sondern von Menschlichkeit und Verantwortungsbewusstsein zeugt.
Externe Unterstützung suchen
Erhalten Ärzte nach einem Behandlungsfehler vor Ort keine Hilfe, können sie sich an externe Stellen wenden.