Der Ärztemangel vor allem in den Fachgebieten der Grundversorgung/Allgemeinmedizin und Kinderheilkunde/Pädiatrie ist im Kanton Bern deutlich zu spüren. Mittels der Berner Workforce-Studie 2020-2025 wurden die Fakten zusammengetragen, Prognosen bis ins Jahr 2025 gestellt und mögliche Lösungsansätze vorgestellt. Hier spielt insbesondere der medizinische Nachwuchs eine bedeutende Rolle, ohne den sich laut Studienleiter, die Situation spätestens ab 2025 drastisch verschärfen wird. Wie die Fakten im Detail aussehen, welche Maßnahmen Abhilfe schaffen können und weiteres Wissenswerte veröffentlichte das BIHAM.
Ärztemangel in der medizinischen Grundversorgung
Mit der Workforce-Studie 2020 bis 2025 stellt das Berner Institut für Hausarzt-Medizin, kurz BIHAM, durch wissenschaftlich fundierte Datenerhebungen detailliert die Fakten über die herrschende medizinische Grundversorgung im Kanton Bern dar.
Fakten aus der Berner Workforce-Studie
2020 startete die Berner Workforce-Studie und enthält einen voraussichtlichen Überblick bis 2025. Damit ist es erstmals im Berner Kanton möglich, die gesamte Anzahl an Grundversorger(innen) zuverlässig zu identifizieren und zu beziffern. Im Jahr 2020 waren 972 Ärzte und Ärztinnen in Bern im Rahmen der Grundversorgung tätig. Die Studie ermittelte zudem, dass die durchschnittliche Wochenarbeitszeit 7,5 Halbtage betrug und damit überwiegend Halbtags- und Teilzeitstellen besetzt sind.
Alle Faktoren zusammengerechnet, ergeben die Studienergebnisse aus 2020 bereits eine Rückläufigkeit von 95 Prozent – Tendenz des Ärzte- beziehungsweise Behandlungsangebots weiter sinkend. Des Weiteren wurden 43 Prozent Ärztinnen registriert. Bei 13 Prozent (129) der Ärzte und Ärztinnen lag das Alter über 65 Lebensjahren. 19 Prozent (189) der Mediziner waren aus dem Ausland hinzugekommen.
Ärztemangel-Verschärfung bis 2025
Aus den Fakten der Berner Workforce-Studie lässt sich ein bestehender Ärztemangel deutlich erkennen und ein rapide weiter zunehmender Ärztemangel in Kanton Bern bis 2025 ableiten.
Heute ist es bereits für Patienten schwierig, einen neuen Allgemeinmediziner oder Hausarzt zu finden. Die Annahme von neuen Patienten wird kontinuierlich häufiger abgelehnt. In den folgenden Jahren ist damit zu rechnen, dass sich die Arztsuche für die Grundversorgung neuer Patienten nahezu als aussichtslos erweisen könnte. Nicht nur die geringe Arztanzahl in Kombination mit Teil- und Halbtagstätigkeit sorgt für das Dilemma, sondern auch der relativ hohe Anteil an über 65-Jährigen lässt auf zahlreiche weitere Arbeitszeit-Reduzierungen sowie ein Ausscheiden durch Pensionierung/Altersrente schließen. Damit könnte sich das Arztangebot nochmals um 25 Prozent verschlechtern.
Erfolgversprechende Gegenmaßnahmen
Damit sich die medizinische Grundversorgung nicht ungehindert zu einer langfristigen Misere entwickelt, sind zügig erfolgversprechende Gegenmaßnahmen zu planen und aktiv anzugehen.
Praxisassistent für Medizinstudenten
Während in der übrigen Schweiz überwiegend besagtes Programm auf politischer Ebene noch nicht ins Leben gerufen wurde, bietet der Berner Kanton das Programm „Praxisassistenz“ für Medizinstudenten bereits an. Folgt nach dem Absolvieren des Medizinstudiums das Assistenzjahr, wird dieses überwiegend in Spitälern und Klinken ausgeführt. Durch das Praxisassistenz-Programm können Assistenzärzte nun auch in zahlreichen Arztpraxen tätig werden und auf diese Weise frühzeitig an die Praxisarbeit sowie die Hausarztmedizin herangeführt werden.
Das Ziel ist, mehr Ärzte-Nachwuchs für diesen Bereich begeistern zu können, um dem weiter voranschreitenden Ärztemangel entgegenzutreten. Das Kanton Bern sowie die Ärzteschaft finanzieren das Programm. Letztere ist zudem gefordert, gezielt Konzepte für mehr Motivation zu entwickeln. Denn das Programm „Praxisassistenz“ funktioniert auf Dauer nur, wenn entsprechende Nachfrage für die Grundversorgungsmedizin von Nachwuchsärzten besteht.
Nachwuchs zum Aufhalten des Ärztemangels
Um die Prognose der Ärzte-Situation zu verbessern oder zumindest auf dem jetzigen Stand zu halten, sind laut den Studienleitern Dr. med. Rozsnyai und Prof. Dr. med. Dr. Streit mindestens 270 neue Ärzte und Ärztinnen im Kanton Bern erforderlich. Der Mindest-Arbeitszeitdurchschnitt von wöchentlich 7,5 Stunden ist für den Erhalt der jetzigen Balance zu erreichen. Hauptsächlich sollte der Nachwuchs aus dem Inland stammen. Berechnungen zufolge müssten 40 Prozent der Medizinstudenten bis 2025 das Fachgebiet der Grundversorgung wählen und darin als Nachwuchs tätig werden. Die Studienleiter sehen es skeptisch, ob man diese Zahlen erreichen kann.