Beruhigungsmittel sind in Zeiten permanenter beruflicher, familiärer und sozialer Beanspruchungen zunehmend gefragte Medikamente. Dabei kann ihre Einnahme in einigen Fällen problematisch sein und schlimmstenfalls zur Sucht führen.
Der folgende Artikel stellt verschiedene Beruhigungsmittel und ihre Wirkweise vor und erklärt, wie sich eine Abhängigkeit erkennen lässt.
Inhaltsverzeichnis
Was sind Beruhigungsmittel?
Beruhigungsmittel (Tranquilizer, Sedativa, Anxiolytika) sind Präparate, die angstlösend, muskelentspannend und teils schlaffördernd wirken. Sie werden in der Medizin bei psychischen und psychiatrischen Erkrankungen wie Angst- und Spannungszuständen sowie Panikattacken, Depressionen und Demenzerkrankungen eingesetzt. Auch bei der Operationsvorbereitung und in einigen Behandlungssituationen auf der Intensivstation erhalten die Patienten häufig angstlösende Medikamente, die den Stress für die Betroffenen reduzieren und das Behandlungsergebnis verbessern können.
Statistische Erhebungen der letzten Jahre lassen vermuten, dass etwa zwei Prozent der Bevölkerung in der Schweiz regelmässig, teils sogar täglich, auf Beruhigungsmittel oder Schlafmittel zurückgreifen. Dabei erfolgt die Einnahme pflanzlicher Präparate, für die eine deutlich höhere Dunkelziffer existieren dürfte, oft ohne ärztliche Rücksprache.
Benzodiazepine
Benzodiazepine sind die mit Abstand am meisten verordneten Beruhigungsmittel. Sie finden schon seit vielen Jahren Anwendung in der Behandlung von Unruhe- und Angstzuständen, bei erhöhtem Muskeltonus und bei Schlafstörungen. Ausserdem werden sie bei Entzugsbehandlungen und zur Operationsvorbereitung eingesetzt.
Insbesondere bei älteren Menschen, die Benzodiazepine ungeachtet der Empfehlungen oft jahrelang einnehmen, kann es durch eine reduzierte Stoffwechselleistung zu Überdosierungen und Nebenwirkungen kommen. Vor allem langwirksame Medikamente sind oft noch nicht vollständig abgebaut, wenn die nächste Dosis im Körper eintrifft. Die steigenden Blutspiegel führen zu Benommenheit, Gangunsicherheit mit Sturzgefahr und Gedächtnisstörungen. Bei gleichzeitigem Alkoholkonsum können Atemaussetzer auftreten.
Bei Verdacht auf eine Benzodiazepin-Überdosierung kann ein Gegenmittel die Wirkung vorübergehend aufheben. Dieses muss wegen der langen Wirkdauer der Benzodiazepine jedoch mehrfach intravenös verabreicht werden.
Zu den gängigen Benzodiazepinen gehören Diazepam, Lorazepam und Alprazolam. Weniger entspannend, aber dafür schlaffördernd wirken Midazolam und die als Schlaf- und Beruhigungsmittel eingesetzten sogenannten „Z-Substanzen“ wie Zopiclon und Zolpidem.
Abhängigkeit und Missbrauch von Benzodiazepinen
Insbesondere nach Benzodiazepin-Einnahme über mehr als vier Wochen kann es auch in niedriger Dosierung zu einer Abhängigkeit kommen. Diese ist schwer zu erkennen, denn Entzugssymptome wie Schlafstörungen und Unruhe gleichen dem initialen Einnahmegrund und werden daher oft nicht als Anzeichen des Entzugs gewertet. Es sollte daher parallel mit der Verordnung versucht werden, die grundlegenden Probleme zu lösen, damit das Einnahmeintervall wenige Wochen nicht überschreitet.
Barbiturate
Barbiturate waren in der Vergangenheit häufig angewandte Beruhigungsmittel, die aufgrund ihrer schwerwiegenden und teils tödlichen Nebenwirkungen heutzutage nicht mehr im ursprünglichen Sinn einsetzbar sind. Sie finden teilweise noch Verwendung in der Behandlung von Krampfanfällen und gelegentlich bei der Narkoseeinleitung.
Ihr Potenzial zur Auslösung komatöser Zustände mit lebensbedrohlicher Atemdepression wird in der Freitodbegleitung genutzt, bei welcher in der Regel Natrium-Pentobarbital in massiver Überdosierung angewendet wird.
Antihistaminika
Antihistaminika wurden nicht primär als Beruhigungsmittel entwickelt. Bei ihnen handelt es sich um Medikamente zur Behandlung Histamin-abhängiger Allergiesymptomen. Allerdings besitzen einige Wirkstoffe der ersten Generation einen stark schlaffördernden Effekt. Sie finden heutzutage Verwendung in der vorübergehenden Behandlung von Schlafstörungen, während die Allergietherapie mit neueren Antihistaminika erfolgt.
Schlaffördernde Antihistaminika sollten frühzeitig eingenommen werden, da die oft langandauernde Wirkung andernfalls einen Überhang am Morgen zur Folge hat. Dies begünstigt eine Sturzneigung und Unfallgefahr und ist vor allem für ältere Menschen gefährlich. Ausserdem tritt nach Einnahme über mehr als zwei Wochen ein Gewöhnungseffekt ein, weshalb eine Langzeitanwendung nicht sinnvoll ist.
Gängige Medikamente enthalten in der Regel Diphenhydramin und Doxylamin.
Antidepressiva
Antidepressiva haben stimmungsaufhellende und antriebssteigernde Effekte und können neben der ursprünglichen Anwendung auch als Beruhigungsmittel eingesetzt werden. Es gibt verschiedene Untergruppen dieser Medikamentenklasse.
Bei Angst- und Zwangsstörungen und posttraumatischer Belastung werden häufig Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wie Citalopram und Fluoxetin eingesetzt. Neuere Wirkstoffe mit breiterem Anwendungsspektrum hemmen zudem die Wiederaufnahme von Noradrenalin (Venlafaxin und Duloxetin) oder Dopamin (Bupropion).
Opipramol, Trimipramin und Amitriptylin, die sogenannten Trizyklischen Antidepressiva, gehen oft mit Herz-Kreislauf-Nebenwirkungen und Mundtrockenheit einher und sind daher eher Reservemedikamente. Speziell bei Unruhe und Nervosität kann auch Mirtazapin zum Einsatz kommen.
Neuere Moleküle wie Agomelatin bieten sich insbesondere bei Schlafstörungen an. Generell besitzen aber die meisten Antidepressiva eine schlaffördernde Komponente. Viele Medikamente werden auch ausserhalb der Zulassung (off-label) zur Behandlung von Schlafstörungen eingesetzt.
Neuroleptika
Mittlerweile als Antipsychotika bezeichnet, stellen Neuroleptika Beruhigungsmittel mit einer dämpfenden Wirkung auf innere und äussere Reize dar. Sie finden daher klassischerweise Anwendung in der Behandlung der Schizophrenie. Klassische Wirkstoffe wie Pipamperon, Haloperidol und Promazin unterdrücken vor allem wahnhafte Symptome. Neuere Wirkstoffe wie Sulpirid, Clozapin und Risperidon lindern vermehrt die Negativsymptome der Schizophrenie wie Affektabflachung und Antriebsmangel.
Betablocker
Betablocker können wegen ihrer dämpfenden Effekte teilweise als Beruhigungsmittel eingesetzt werden. Allerdings wirken sie sich auch auf das Herz-Kreislauf-System aus, zu dessen Behandlung sie vorrangig entwickelt wurden. Sie verengen die Bronchien und die Blutgefässe in der Körperperipherie und sollten daher bei Erkrankungen der Lunge und der Beinarterien nicht eingenommen werden. Der bekannteste Wirkstoff zur Anwendung bei Angststörung ist Propranolol.
Pflanzliche Beruhigungsmittel
Viele Menschen möchten keine Nebenwirkungen durch Medikamente riskieren und greifen daher auf pflanzliche Beruhigungsmittel mit Baldrian, Melisse, Hopfen und Lavendel zurück. Auch die Passionsblume erfreut sich zunehmender Beliebtheit und scheint eine gute Alternative zu Benzodiazepinen zu bieten, da sie über einen ähnlichen Mechanismus wirkt, aber keine Abhängigkeit erzeugt.
Bei Johanniskraut ist zu beachten, dass es den Leberstoffwechsel beeinflusst und daher schwere Wechselwirkungen mit Medikamenten haben kann. Unter anderem wird die Wirkung blutverdünnender Präparate und von Verhütungspillen abgeschwächt.
Grundsätzlich sollten daher auch pflanzliche Beruhigungsmittel, insbesondere Johanniskraut, niemals ohne ärztliche Rücksprache eingenommen werden.
Fazit
Viele Beruhigungsmittel eignen sich nach sorgfältiger Abwägung gemeinsam mit dem behandelnden Arzt als vorübergehende Hilfe bei aussergewöhnlichen Belastungen, akuten Angstzuständen und Schlafstörungen. Da sie jedoch alle Nebenwirkungen wie Schwindel, Müdigkeit, Übelkeit und Kopfschmerzen und teils auch Abhängigkeit auslösen könnten, empfehlen die medizinischen Fachgesellschaften ausdrücklich, primär die Ursache der Symptome zu suchen und zu behandeln.
Eine gute Schlafhygiene ist dabei ein wesentliches Element. Zudem sollten sich ältere Menschen bewusst machen, dass der Nachtschlaf im Laufe des Lebens immer weniger wird und häufig auch Unterbrechungen auftreten. Dies ist ein normaler Alterungsprozess und erfordert in der Regel keine medikamentöse Behandlung.
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