Mit dem zunehmenden Fokus auf die Bedeutung von psychischer Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz gewinnt die medizinische Fachrichtung Arbeitsmedizin an Präsenz. Bisher arbeiten nur 0,35 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte in der Eidgenossenschaft in dem Fachgebiet. Eine kleine Zahl im Vergleich zu Deutschland und Österreich. Wie man Betriebsarzt in der Schweiz wird und welche Aufgaben im Arbeitsalltag warten, zeigt dieser Überblicksartikel.
Inhaltsverzeichnis
Was ist ein Betriebsarzt?
Betriebsärzte und Betriebsärztinnen in der Schweiz sind ausgebildete Fachärztinnen und Fachärzte der Arbeitsmedizin. Sie arbeiten in Betrieben aller Art und befassen sich mit dem Zusammenhang zwischen Arbeit und Gesundheit. Die arbeitsmedizinische Vorsorge ist in der Schweiz zentral gebündelt und wird von der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt Suva gesteuert.
Der Arbeitsalltag umfasst vielfältige Aufgaben, die sich in einem Spannungsfeld zwischen Medizin, Arbeitsrecht und Unternehmenserfolg befinden. Die zwei wichtigsten Aspekte dabei sind:
a) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Arbeitsplatz besuchen und beraten, wie sich das Risiko für arbeitsbedingte Erkrankungen und arbeits-assoziierte Verletzungen minimieren lässt.
b) Arbeitnehmenden nach einer Krankheit oder einem Unfall helfen, an ihrem Arbeitsplatz zu bleiben oder wieder zur Arbeit zurückzukehren.
Die Ausbildung zum Facharzt der Arbeitsmedizin in der Schweiz
Um als Betriebsärztin oder Betriebsarzt in der Schweiz arbeiten zu können, ist der Erwerb des Facharzttitels Arbeitsmedizin nötig. Arbeitsmedizin ist einer von derzeit 45 Facharzttiteln, die in der Schweiz erworben werden können. Die Voraussetzung für die Facharztausbildung, an deren Ende der Facharzttitel steht, ist ein erfolgreich abgeschlossenes Medizinstudium.
Die Facharztausbildung im Bereich Arbeitsmedizin dauert fünf Jahre und gliedert sich in zwei gleichlange Zeitabschnitte von jeweils 30 Monaten, die als fachspezifische und nicht-fachspezifische Weiterbildung absolviert werden.
Im Rahmen der nicht-fachspezifischen Weiterbildung wird zwölf Monate lang im Bereich „Allgemeine Innere Medizin“ gearbeitet. Maximal sechs Monate davon können an einer ambulanten Weiterbildungsstätte stattfinden. Weitere 18 Monate muss man in einer oder mehreren der folgenden Disziplinen ableisten:
- Allgemeine Innere Medizin
- Anästhesiologie
- Chirurgie
- Dermatologie und Venerologie
- Intensivmedizin
- Kardiologie
- Neurologie
- Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates
- Oto-Rhino-Laryngologie
- Physikalische Medizin und Rehabilitation
- Pneumologie
- Psychiatrie und Psychotherapie
- Rechtsmedizin
- Rheumatologie
Es besteht die Möglichkeit, sich bestimmte Qualifikationen anrechnen zu lassen, um die Zeit der nicht-fachspezifischen Weiterbildung zu verkürzen. Dazu zählen Forschungstätigkeiten, eine MD-PhD-Ausbildung oder ein in der Schweiz oder im Ausland erlangter Facharzttitel.
Die anschliessende fachspezifische Weiterbildung dauert ebenfalls 30 Monate. Maximal sechs Monate davon darf man in einer anerkannten Arztpraxis als Praxisassistenz absolvieren. Wer eine Forschungstätigkeit im Bereich Arbeitsmedizin nachweisen kann, kann die Zeit der fachspezifischen Weiterbildung um maximal ein Jahr verkürzen.
Inhalte der Facharztausbildung Arbeitsmedizin
Die Inhalte, die während der Facharztausbildung in der Arbeitsmedizin vermittelt werden, sind in theoretische Kenntnisse sowie praktische Fähigkeiten und Fertigkeiten untergliedert.
Die theoretischen Kenntnisse beziehen sich unter anderem auf Berufskrankheiten aller Organsysteme inklusive Tropen- und Infektionskrankheiten sowie Vergiftungen, diagnostische Methoden, medizinische Behandlungsmöglichkeiten, physikalische, biologische und chemische Noxen und deren Auswirkungen auf den menschlichen Körper, analytische Verfahren zur Quantifizierung von gesundheitsbelastenden Expositionen, spezielle gesundheitliche Bedürfnisse von Arbeitnehmenden in bestimmten Lebensphasen (Jugendliche, Ältere, Schwangere und Stillende), spezielle gesundheitliche Bedürfnisse von behinderten Arbeitnehmenden, psychosoziale Belastungen, rechtliche Grundlagen und Normen zu Arbeit und Gesundheit sowie zum Schweizer Sozialversicherungssystem sowie betriebliche Organisations- und Steuerungskonzepte gesundheitlicher Fragestellungen in Unternehmen.
Die praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten umfassen beispielsweise die selbstständige Durchführung zahlreicher Untersuchungen wie der Lungenfunktion, der Visusprüfung oder dem Ruhe-EKG, selbstständige Diagnosestellung von Berufskrankheiten und berufsassoziierten Gesundheitsstörungen, selbstständige Durchführung einer Risikobeurteilung und Gefahrenermittlung, korrekte Durchführung arbeitsmedizinischer Eignungs- und Vorsorgeuntersuchungen, die sichere medizinische Beratung von Arbeitnehmenden zu diversen Themen der Arbeitssicherheit in bestimmten Lebensphasen, Schutzkleidung oder Schichtarbeit sowie die Beherrschung professioneller Kommunikation gegenüber Behörden, Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden.
Der gesamte Katalog aller Ausbildungsinhalte im Bereich Arbeitsmedizin findet sich auf der Webseite des SIWF (Schweizerisches Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung).
Betriebsarzt: Aufgaben & Arbeitsalltag
Obwohl das Feld der Arbeitsmedizin in der Schweiz mit nur 135 Betriebsärztinnen und Betriebsärzten im Vergleich zu Deutschland und Österreich weniger stark besetzt ist, ist ihre Arbeit nicht unwichtig oder simpel. Ganz im Gegenteil, Alltag und Aufgaben von Betriebsärzten in der gesamten D-A-CH-Region unterscheiden sich kaum und umfassen ein breites Spektrum.
Der Fokus der arbeitsmedizinischen Tätigkeit ist die Prävention. Es gilt, das Risiko für Erkrankungen und Unfälle am Arbeitsplatz möglichst frühzeitig zu erkennen und durch geeignete Massnahmen zu minimieren. Dazu zählen etwa Aufgaben wie:
- Arbeitgebende in allen Fragen des medizinischen Arbeitsschutzes zu beraten, etwa bei Bau oder Umbau von Betriebsanlagen, bei der Einführung oder Neugestaltung von Arbeitsverfahren oder bei der Auswahl von persönlicher Schutzausrüstung
- Arbeitnehmende in allen Fragen des medizinischen Arbeitsschutzes zu beraten, um das Risiko für Unfälle und arbeits-assoziierte Erkrankungen zu minimieren, die Gesundheit und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz zu fördern oder während bestimmter Lebensphasen wie Schwangerschaft und Stillzeit
- betriebsärztliche Vorsorgeuntersuchungen der Belegschaft
- Einstellungsuntersuchungen
- Gefährdungsbeurteilung und Beaufsichtigung des Arbeitsschutzes im Unternehmen
- Durchführung von Schulungen und Teilnahme an Sitzungen zum Arbeitsschutz (etwa mit Behörden)
Neben der präventiven Arbeit hat der Alltag als Betriebsarzt oder Betriebsärztin auch eine therapeutische Komponente. Je nach Unternehmen, in dem man tätig ist, kann diese mehr oder weniger stark ausgeprägt sein. Dabei geht es zum einen um Erste Hilfe und Notfälle. Zum anderen geht es aber auch um die Behandlung und Betreuung von erkrankten oder verunfallten Arbeitnehmenden.
Karriere in der Arbeitsmedizin: Vorteile als Betriebsarzt
Einige der offensichtlichen Vorteile als Betriebsarzt oder Betriebsärztin im Vergleich zu anderen medizinischen Fachrichtungen sind:
- geregelte Arbeitszeiten entsprechend der normalen Büroarbeitszeiten (etwa 9 Uhr bis 17 Uhr)
- keine Nacht-, Wochenend- oder Bereitschaftsdienste (Ausnahmen existieren)
- Tätigkeit im öffentlichen, privaten und militärischen Sektor möglich
- Möglichkeit, die betriebsärztliche Tätigkeit mit einer weiteren Tätigkeit zu kombinieren (etwa als niedergelassene Hausärztin in Teilzeit als Betriebsärztin zu arbeiten)
- ganzheitlicher (holistischer) Ansatz, es geht nicht nur darum, Krankheiten zu therapieren, sondern möglichst an der Entstehung zu hindern; psychologische und soziale Aspekte fliessen in die Betrachtung von Gesundheit mit ein
- mehr Zeit für Menschen (oft dauert ein Patientenkontakt 45 Minuten)
Betriebsärztliche Untersuchung
Betriebsärzte führen zwei Arten von Untersuchungen durch:
a) eine Einstellungsuntersuchung im Rahmen des Einstellungsprozesses, bei der geprüft wird, ob die Kandidatin beziehungsweise der Kandidat die körperlichen Voraussetzungen für die zu besetzende Stelle erfüllt. Die sogenannte Eignungsfeststellung wird in vielen Arbeitsbereichen angewendet, wie etwa im diplomatischen Dienst, im ÖPVN oder in der Flugbranche sowie überall dort, wo eine Person bestimmte Steuer-, Fahr- oder Überwachungstätigkeiten durchführt und Verantwortung für zahlreiche andere Menschen trägt.
b) eine betriebsärztliche Vorsorgeuntersuchung für die Belegschaft, bei der geschaut wird, ob Arbeitnehmende an ihren Arbeitsplätzen gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt sind. Basierend auf den Feststellungen kann der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin dazu raten, den Arbeitsplatz anzupassen oder den Arbeitnehmenden einen anderen Arbeitsplatz zu versetzen.