Eine neue Top-5-Liste gibt Empfehlungen, welche stationären Behandlungen sich Spitäler im Bereich der Allgemeinen Inneren Medizin (AIM) sparen sollten. Die Empfehlungen, herausgegeben von der gemeinnützigen Organisation „Smarter Medicine“ und der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin, sollen Über- und Fehlbehandlungen vermeiden helfen und auf diese Weise Zeit und Kosten sparen.
Über- und Fehlbehandlungen vermeiden
Eine erste Top-5-Liste mit vermeidbaren Behandlungen kam bereits im Jahr 2016 heraus und war damals Gegenstand vieler Diskussionen. Mittlerweile existieren mehr als 20 solcher Empfehlungslisten für diverse Fachdisziplinen. Jede gibt fünf Behandlungsfälle an, die den Spitälern in der Regel keinen Nutzen bringen.
Die nun herausgegebene Top-5-Liste für den Bereich AIM umfasst die folgenden Punkte:
Keine vorbeugenden Blutverdünner bei Patienten/-innen mit geringem Thromboserisiko
Akutpatienten/-innen, die nur ein geringes Risiko für Venenthrombosen aufweisen, sollen nicht mehr vorbeugend mit Blutverdünnern behandelt werden. Die prophylaktische Antikoagulation verringert zwar das Risiko thromboembolischer Ereignisse, birgt aber die Gefahr, Blutungen auszulösen. Nach Einschätzung von „Smarter Medicine“ erhält die Hälfte bis drei Viertel aller Patienten/-innen vorbeugende Blutverdünner ohne festgestellten Nutzen. Die Unannehmlichkeiten für die Patienten/-innen sowie die hohen Kosten für das Pflegepersonal und die eingesetzten pharmazeutischen Produkte sehen die Herausgeber der Liste angesichts der geringen Vorteile als nicht gerechtfertigt an.
Keine Antibiotikagabe bei erhöhten Entzündungswerten ohne Hinweis auf einen Infekt
Sind lediglich die Entzündungswerte im Blut von Patienten/-innen erhöht, ohne dass weitere klinische Symptome für einen Infekt vorliegen, sollen Spitäler auf die Therapie mit Antibiotika verzichten. Die Begründung: Erhöhte Entzündungswerte zeigen zwar einen entzündlichen Prozess im Körper an, lassen aber keinen Rückschluss auf dessen Ursache zu. Sie sollten daher eher zum Anlass genommen werden, um gezielt nach einer Infektion zu suchen.
Keine Therapie mit blutdrucksenkenden Mitteln bei gelegentlich erhöhtem Blutdruck
Viele Spitalpatienten/-innen weisen während ihres stationären Aufenthalts einen erhöhten Blutdruck auf. Ursache dafür sind meist Schmerzen, Schlafmangel sowie die Angst und der Stress, die mit dem Spitalaufenthalt verbunden sind. Die Empfehlung lautet, bei gelegentlich erhöhten Blutdruckwerten auf die systematische medikamentöse Behandlung zu verzichten. Eine vorschnelle medikamentöse Therapie mit Blutdrucksenkern könne zu Komplikationen wie Schwindel und erhöhter Sturzgefahr führen, ohne die Blutdruckwerte langfristig zu verbessern. Die medikamentöse Therapie soll daher für hypertensive Notfälle und hypertensive Krisen vorbehalten werden.
Keine Weiterverschreibung von Neuroleptika zur Behandlung von Schlaflosigkeit und Unruhe nach dem Spitalaufenthalt
Seitdem Swissmedic und die amerikanische Food and Drug Administration der Verabreichung von Neuroleptika der zweiten Generation zugestimmt haben, kommen diese Antipsychotika aufgrund ihrer hypnotischen und sedativen Eigenschaften auch zur Behandlung von Schlaflosigkeit und Unruhe während eines Spitalaufenthalts zum Einsatz. Die neue Top-5-Liste von „Smarter Medicine“ rät davon ab, die Mittel nach Ende des stationären Aufenthalts weiter zu verschreiben. Neuroleptika der zweiten Generation bergen ein hohes Abhängigkeitsrisiko und können zu Komplikationen wie Schläfrigkeit, kognitiver Beeinträchtigung und erhöhtem Sturzrisiko führen. Risiko und Nutzen müssen daher bei der Verschreibung sorgfältig abgewogen werden.
Keine Sauerstoffbehandlung, um eine kapillare Sauerstoffsättigung von über 94 Prozent zu erreichen
Die fünfte Empfehlung der Liste lautet, auf eine Sauerstofftherapie ohne deutliche Evidenz zu verzichten. Sofern keine Ateminsuffizienz oder eine kapillare Sauerstoffsättigung von unter 90 Prozent vorliegen, sei die Sauerstoffbehandlung mit zu hohen Risiken behaftet, so die Argumentation. Studien mit Akutpatienten/-innen weisen zum Beispiel darauf hin, dass eine zu freigiebige O2-Verabreichung mit einer Übersterblichkeit in Verbindung steht. Darüber hinaus trocknet die Sauerstoffgabe den Nasen- und Rachenraum aus, was zu weiteren Beschwerden führt. Eine Einschränkung der Sauerstoffvergabe senke die Kosten und auch die Umweltbelastung, die mit der Herstellung des Sauerstoffs einhergeht.
„Smarter Medicine“ plant, in Zukunft weitere Top-5-Listen für andere Fachbereiche und Gesundheitsberufe zu erstellen.