
Trotz eines weiteren Zuwachses an Ärzten verschärfen sich die strukturellen Herausforderungen im Schweizer Gesundheitssystem – insbesondere in der Grundversorgung und bei der Abhängigkeit von ausländischen Fachkräften. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle FMH-Ärztestatistik 2024.
Solide Ärztedichte im europäischen Vergleich
Laut den aktuellen Zahlen der FMH waren im Jahr 2024 insgesamt 42’602 Ärzte berufstätig, davon 20’224 Frauen (47,5 Prozent) und 22’378 Männer. Gegenüber dem Vorjahr entspricht dies einem Anstieg von 1’502 Personen oder 3,7 Prozent. Die Ärztedichte liegt damit bei 4,1 Vollzeitäquivalenten (VZÄ) pro 1’000 Einwohner – ein Wert, der im europäischen Vergleich als solide gilt. Dennoch vermeldet die Publikation nicht nur Positives.
FMH-Ärztestatistik 2024 zeigt den Engpass in der Grundversorgung
Trotz dieser positiven Gesamtentwicklung bleibt ein Kernproblem bestehen: Die Grundversorgerdichte ist mit 0,8 VZÄ pro 1’000 Einwohner nach wie vor zu niedrig. Sie stagniert, obwohl die absolute Zahl der Grundversorgenden leicht gestiegen ist. In vielen Bezirken liegt die Dichte sogar unter diesem Wert. Dies wirkt sich zunehmend auf den Zugang der Bevölkerung zu medizinischen Leistungen aus.
Gerade in einer alternden Gesellschaft mit steigender Prävalenz chronischer Erkrankungen ist eine funktionierende Grundversorgung essenziell. Sie stellt den kontinuierlichen und koordinierten Zugang zur medizinischen Behandlung sicher. Doch die personelle Basis dafür gerät zunehmend unter Druck. Die FMH fordert daher eine gezielte Förderung des Fachgebiets Allgemeine Innere Medizin sowie der Kinder- und Jugendmedizin. Beide Bereiche stehen unter besonderem Druck. Lesen Sie hierzu ausserdem:
Altersstruktur: Pensionierungswelle in Sicht
Ein weiteres Warnsignal liefert die Altersstruktur der Ärzteschaft: Ein Viertel aller Ärzte ist 60 Jahre oder älter. Das Durchschnittsalter liegt bei 49,7 Jahren – bei Frauen bei 46,5, bei Männern bei 52,7 Jahren. Der zunehmende Frauenanteil bei den Medizinstudierenden sorgt für eine gewisse Verjüngung, ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass eine Pensionierungswelle unmittelbar bevorsteht. Die Nachbesetzung dieser Stellen dürfte angesichts des heutigen Nachwuchsmangels nicht leichtfallen.
Hohe Abhängigkeit vom Ausland
Besonders alarmierend ist die weiterhin hohe Abhängigkeit von im Ausland ausgebildeten Ärzten. Als kleines Land schafft die Schweiz nach wie vor zu wenig Nachwuchs aus dem eigenen Land. Der Anteil an Ärzten, die ihr Medizinstudium im Ausland absolviert haben und zum Arbeiten in die Schweiz einwandern, liegt bei 41,3 Prozent. Das ist mehr als doppelt so hoch wie der OECD-Durchschnitt von 19 Prozent. Die meisten dieser Fachkräfte stammen aus Deutschland (49,4 Prozent), Italien (9,7 Prozent), Frankreich (7,1 Prozent) und Österreich (6 Prozent).
Diese starke Auslandabhängigkeit birgt strukturelle Risiken. Sollten sich die Arbeitsbedingungen in den Herkunftsländern verbessern oder sich die Migrationspolitik ändern, könnte die Schweiz rasch vor Engpässen stehen. Bereits heute warnen Fachgesellschaften vor einem „System auf Pump“.
Arbeitsbedingungen belasten die Attraktivität
Neben der Altersstruktur und Auslandabhängigkeit nennt die FMH auch die Arbeitsbedingungen als wesentlichen Belastungsfaktor. Es zeichnen sich dabei in der Schweiz dieselben Probleme ab wie in vielen anderen europäischen Staaten. Laut Ärztestatistik seien beispielsweise der administrative Aufwand zu hoch, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf schwierig, und die Wertschätzung für den ärztlichen Beruf nehme ab. Dies gefährde nicht nur die Attraktivität des Berufs im Allgemeinen, sondern auch die psychische Gesundheit der Beschäftigten.
Die FMH plädiert deshalb für konkrete Reformen. Dazu zählen der Abbau von Bürokratie, eine faire Finanzierung der Grundversorgung und die Erhöhung der Studienplätze an schweizerischen Universitäten. Die von der Politik angestrebte Zielgrösse von 1’200 Medizinstudienplätzen pro Jahr wird bislang nicht erreicht. Notwendig seien zudem zusätzliche Weiterbildungsplätze, insbesondere im ambulanten Bereich.
Regionale Unterschiede und Spezialisierungen
Die FMH-Statistik gibt auch Einblick in die regionale Verteilung und die Fachrichtungen. 53,4 Prozent der Ärzte arbeiten im Praxissektor, 45 Prozent im Spitalbereich. Die Fachgebiete mit den höchsten Zuwächsen sind die Allgemeine Innere Medizin, die Psychiatrie und Psychotherapie sowie die Gynäkologie. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie hingegen übersteigt die Nachfrage das Angebot teilweise bereits heute massiv.
Die regionalen Unterschiede sind zudem mitunter beträchtlich: In städtischen Kantonen wie Zürich, Basel-Stadt oder Genf ist die Versorgungslage vergleichsweise gut. In den ländlichen Regionen hingegen zeigt sich eine Unterversorgung – nicht selten verbunden mit einer Überlastung bestehender Praxen.
Fazit: Kurskorrekturen in der Schweiz dringend erforderlich
Die FMH-Ärztestatistik 2024 macht deutlich: Die Schweiz verfügt über ein quantitativ wachsendes, aber strukturell angeschlagenes Gesundheitssystem, das sich weiterhin grösseren strukturellen Herausforderungen gegenübersieht. Die demografische Entwicklung, die zunehmende Spezialisierung, die Auslandabhängigkeit und die mangelnde Attraktivität des Grundversorgerberufs verstärken sich gegenseitig. Ohne strukturelle Reformen könnte die medizinische Versorgung in den nächsten Jahren ins Wanken geraten.
Die FMH appelliert deshalb an Politik und Gesellschaft, jetzt zu handeln – mit mehr Studienplätzen, besseren Arbeitsbedingungen, gezielter Nachwuchsförderung und einer echten Aufwertung der Grundversorgung.