In der ambulanten Gesundheitsversorgung hält die Digitalisierung zunehmend Einzug. Gerade die Covid-Pandemie hat einen zusätzlichen Schub bewirkt. Es gibt aber auch noch unausgeschöpfte Potentiale. Wie stehen Schweizer Hausärzte und Patienten zur Digitalisierung bei der Gesundheitsversorgung? Mit dieser Frage hat sich jetzt schon zum zweiten Mal der Digital Trends Survey der FMH befasst, diesmal mit besonderem Fokus auf die sogenannte Patient Journey. In unserem Beitrag stellen wir die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung vor.
FMH – das ist die „Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte“, ein massgeblicher ärztlicher Berufsverband im Land mit über 40.000 Mitgliedern. Das Kürzel FMH steht für „Foederatio Medicorum Helveticorum“, die lateinische Übersetzung des Verbandsnamens. Im diesjährigen Digital Trends Survey wurden 507 ambulant tätige Schweizer Ärztinnen und Ärzte sowie 2.096 erwachsene Bürgerinnen und Bürger befragt. Die Stichproben sind jeweils repräsentativ und bilden die gesamte Schweiz ab. Da in der Untersuchung die Patient Journey eine zentrale Roll spielt, zunächst einige Erläuterungen hierzu.
Gesundheitsversorgung: Patient Journey – die Patientenreise im Licht der Digitalisierung
Als „Patient Journey“ bezeichnet man den Behandlungsweg eines Patienten von der Vorbeugung bis zur Nachsorge. Idealtypisch lässt sich die „Patientenreise“ in folgende Phasen einteilen:
- Vorbeugung oder Prävention
- Auftreten von Beschwerden bis zur ersten Konsultation
- Untersuchung, Diagnose und Behandlung
- Nachsorge
Für alle diese Phasen existieren bereits zahlreiche digitale Angebote und Lösungen. Ein einfaches Beispiel sind Wearables im Bereich der Prävention, die körperliche Funktionsdaten messen und der laufenden Überwachung des Gesundheitszustands dienen. Besonders vielfältig sind digitale Anwendungen im Bereich der Behandlung. Sie reichen von Information und Kommunikation über Untersuchung, Analyse und Diagnostik bis hin zu therapeutischen Lösungen. Es gibt keine freie Arztpraxis, die heute ohne digitale Anwendungen auskommt – selbst der skeptischste Arzt kann darauf nicht verzichten.
In der Untersuchung wurden zwei hypothetische Arztpraxen konstruiert, um die Präferenz bei möglichen Eigenschaften von analog bis vollständig digital zu ermitteln. Untersucht wurden jeweils die Bereiche: Administration, Aufrufsystem, eingesetztes Fachpersonal, Untersuchung und Behandlung.
Hier nun die Ergebnisse der Befragung im Überblick.
1. Allgemeiner Wunsch: Digitale Potentiale besser ausschöpfen
Ärzteschaft und Bevölkerung sehen Digitalisierung bei der Gesundheitsversorgung gleichermassen als wichtig an. Waren noch zwei Drittel der Ärzte vor Corona der Meinung, die digitalen Potentiale seien schon ausgeschöpft, denkt das jetzt nur noch jeder vierte. Handlungsbedarf wird vor allem bei Datenqualität und Datenverfügbarkeit gesehen.
2. Digitale Anwendungen kein Ersatz für (persönliche) ärztliche Leistung
Das Interesse an digitalen Gesundheitsdienstleistungen ist bei beiden befragten Gruppen hoch. Das gilt insbesondere für den Bereich Administration. Bei digitalen Anwendungen, die die ärztliche Kernleistung betreffen, besteht dagegen deutlich mehr Zurückhaltung. Sofern es um Unterstützung von Untersuchung und Behandlung geht, werden digitale Lösungen begrüsst. Sie sollten aber den Arzt nicht ersetzen.
3. Digitalisierung kann mehr Freiräume für Behandlung schaffen
Es besteht die einhellige Auffassung, dass Digitalisierung Chancen für mehr persönliche Behandlung bietet, weil sie Behandelnde zeitlich entlastet. Der Faktor „persönlicher Kontakt“ in der Behandlung wird von Ärzten noch höher eingeschätzt als von Patienten. Diese sind zum Beispiel recht offen für Videokonsultationen bei einfachen Fragestellungen.
4. Hohes Patienteninteresse am elektronischen Patientendossier (EPD)
Sowohl Ärzteschaft als auch Bevölkerung zeigen nach wie vor hohes Interesse am EPD. Allerdings ist das für die meisten Patienten kein massgeblicher Grund für die Hausarzt-Entscheidung. Nur ein Fünftel der Befragten würde den Hausarzt wechseln, weil dieser nicht am EPD teilnimmt.
5. Gesundheitsversorgung: Hohe Zufriedenheit mit dem Hausarzt, weniger mit seinen digitalen Angeboten
Insgesamt zeigt sich erneut eine hohe Zufriedenheit mit dem Hausarzt. Zwei Drittel der Patienten würden ihren Hausarzt weiterempfehlen, nicht viel weniger als bei der letzten Studie vor zwei Jahren. Allerdings ist fast jeder vierte Patient mit den digitalen Angeboten seiner Hausarztpraxis unzufrieden.
6. Covid und Digitalisierung
Beide befragten Gruppen stimmten mehrheitlich der Aussage zu, dass die Covid-Pandemie den Handlungsbedarf bei der Digitalisierung deutlich gemacht hat. Insbesondere seien die Schwierigkeiten beim Datenaustausch zwischen den Beteiligten bei der Gesundheitsversorgung offen zutage getreten. Problemlösungen in diesem Bereich seien vordringlich.
7. Gesundheitskosten als Problem weniger wichtig als früher
Die Untersuchung zeigt noch einen anderen Covid-Effekt: steigende Gesundheitskosten werden von Ärzten und Bevölkerung weniger stark als Problem empfunden als vor der Pandemie. Offenbar hat angesichts des Infektionsgeschehens das Interesse an guter Gesundheitsversorgung an Bedeutung gewonnen. Der Kostenaspekt ist demgegenüber in den Hintergrund getreten.
Schlussfolgerungen aus der Befragung zur Gesundheitsversorgung
Im Ergebnis weist die Untersuchung darauf hin, dass die Schweizer Ärzteschaft ihre digitalen Dienstleistungen im Rahmen der Covid-Pandemie ausgebaut oder stärker eingesetzt hat. Dennoch sind längst noch nicht alle Potentiale ausgeschöpft und es gibt in der „Ärztelandschaft“ erhebliche Unterschiede. Über die Hälfte der Bevölkerung kennt die digitalen Angebote der Arztpraxen nicht und jeder Vierte ist mit Ihnen nicht zufrieden. Datenqualität, Datenaustausch und Datenverfügbarkeit sind zentrale Themen. Dennoch gilt auch weiterhin: „der Computer kann den Arzt nicht ersetzen“.