Aggressivität und Gewalt seitens Patienten/-innen und Angehörigen gegenüber medizinischem Personal sind keine Seltenheit. Ob beim Notfalleinsatz des Rettungsdienstes, in Notfallaufnahmen und auf Krankenhausstationen oder in Arztpraxen, die Ereignisse der Vergangenheit zeigen eine steigende Tendenz von psychischer sowie physischer Gewalt im medizinischen Bereich. Das stellt medizinische Mitarbeiter/innen und Ärzte/-innen vor grosse Herausforderungen, in denen es richtig zu reagieren gilt, um derartige Situationen zu kontrollieren und eine Eskalation womöglich mit Verletzungen zu verhindern.
Zunehmende Gewalt und Folgen
Trotz der Pandemie und währenddessen geltenden strengen Zutrittsregelungen von Krankenhäusern und Arztpraxen, hat die Anzahl der gemeldeten Aggressionen um 120 Vorkommnisse von 2020 bis 2021 zugenommen. Sicherheitsdienste geben an, durchschnittlich drei- bis viermal pro Tag einschreiten zu müssen. Überwiegend sind es Beleidigungen und Beschimpfungen. Handgreiflichkeiten gegenüber Pflege- und Krankenpersonal sind zwar seltener, aber auch hierbei ist eine steigende Tendenz erkennbar.
Manch ein/e angegangene/r Arzt/Ärztin oder Gesundheitsmitarbeiter/in erleidet Verletzungen, die der medizinischen Versorgung bedürfen. Obwohl der Gesetzgeber hier eine Straftat festsetzt und gewalttätige Patienten/-innen oder Angehörige dementsprechend mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen haben, nehmen die Aggressionen dennoch weiterhin konstant zu.
Berufsausstieg wegen vermehrter Gewaltausbrüche
Während vor allem in Notfall-Ambulanzen Ärzte/-innen und Mitarbeitende nahezu täglich mit Aggressionen zu tun haben, macht das Problem nicht einmal vor Kinder- und Geburtsstationen Halt. Ärzte/-innen betrachten den Zustand sehr kritisch und sehen dies als einen wesentlichen Grund für einen Berufsausstieg.
Präventivmassnahmen sind in der Vergangenheit nicht ergriffen worden und erst heute Thema, nachdem Ärzte/-innen sich dieser Gefahr nicht mehr aussetzen möchten und insbesondere durch die Medien die Zustände mittlerweile die Bevölkerung erreichen. Auch das medizinische Pflege- und Krankenpersonal bekommt es zu spüren, wodurch die berufliche Belastung noch weiter steigt und den Berufsstand immer unbeliebter werden lässt.
Umgang mit aggressiven Patienten/-innen und Angehörigen
Wut über eine verweigerte Rezeptausstellung, volle Praxen sowie Notambulanzen und lange Wartezeiten, Verschwörungsglaube oder Frust über Nasen-Mundschutz-Verordnungen sind nur einige Beispiele dafür, warum Patienten/-innen oder Angehörige aggressiv werden. Zum eigenen Schutz sollten betroffene Ärzte/-innen und das Gesundheitspersonal stets mit verschiedenen Massnahmen zur Deeskalation reagieren.
Ruhig bleiben
Wer in eine brenzlige Situation mit einem/-r Patienten/-in oder Angehörigen gerät, sollte weder aufbrausend noch panisch werden. Am besten ist ein selbstbewusstes Auftreten mit Blickkontakt zum/-r Patienten/-in/Angehörigen und eine innere Ruhe auszustrahlen.
Respektvoll kommunizieren
Freundlich und respektvoll ist der/die Patient/in in ruhiger, aber dennoch bestimmender Tonlage auf das unangemessene Verhalten anzusprechen. Drohungen, Provokationen oder Herabwertungen der Person oder der aggressionsauslösenden Gründe sollten vermieden werden.
Unterstützende Hilfe
Weil in der Regel nicht abzuschätzen ist, ob und wie weit eine derartige Situation eskalieren kann, sollte der Kontakt mit aggressiven Patienten/-innen oder Angehörigen nie allein erfolgen. Es sollte unverzüglich unterstützende Hilfe durch Kollegen/-innen oder Mitarbeitende herbeigeholt werden. Fühlen sich manche Aggressoren/-innen gegenüber einzelnen Personen oftmals überlegen, lassen sich solche Situationen häufig schnell auflösen, wenn der/die Aggressor/in einer sich in der Mehrheit befindlichen Gruppe gegenübersteht. Sollte es zu einem Gewaltakt kommen, können die Unterstützer durch ein Eingreifen Schlimmeres vermeiden und im Falle einer strafrechtlichen Verfolgung den Angriff bezeugen.
Situation verlassen
Entziehen sich betroffene Ärzte/-innen der aggressiven Situation durch ein Verlassen des Raums, wird dadurch dem/der Aggressor/in auch das „Objekt“ der Wutentladung entzogen. Im Idealfall beruhigt sich die Person dann von selbst oder verlässt ebenfalls das Geschehen. Das Verlassen der Situation ist vor allem dann angeraten, wenn sie von Angst und Unsicherheit begleitet und/oder sich der/die Aggressor/in anstatt sich zu beruhigen, zunehmend unangenehmer wird. Der Entzug aus der Situation sollte dann zügig erfolgen.
Aufmerksamkeit anfordern
Wer sich als Gesundheitspersonal, Arzt/Ärztin in einer Gefahrensituation vor oder während der Ausübung von Gewalt befindet, sollte unbedingt auf sich und das Geschehnis aufmerksam machen. Um Hilfe rufen, Notfallpieper betätigen oder Schreien sind gängige „Zeichen“ für Personen in der Umgebung, die leicht eine Gefahren- beziehungsweise Notsituation wahrnehmen lassen. Das Hinzuziehen der Polizei ist bei einer Eskalation angeraten und sollte insbesondere bei Anwendung von Gewalt eine Anzeige zur Folge haben.
Hausverbot
Ob mit Polizei und Anzeige oder ob das Vorkommnis ohne strafrechtliche Konsequenzen für den/die Aggressor/in bleibt, in jedem Fall sollte ein Hausverbot ausgesprochen werden. Das Hausverbot kann bereits bei verbalen Angriffen erteilt werden. Dadurch wird der Person untersagt, in naher Zukunft nochmals die Räumlichkeiten zu betreten. Auf diese Weise wird einem erneuten inakzeptablen Verhalten eines/-r Patienten/-in oder Angehörigen vorgebeugt. Hält sich die Person nicht an das Hausverbot, fällt das unter den Hausfriedensbruch. Dies kann man zur Anzeige bringen. Dies hat dann wiederum zivilrechtliche Folgen.
Vorbereitungen und Vorbeugung
In derartigen Belastungssituationen können vorbereitende sowie vorbeugende Massnahmen für Ärzte/-innen und Mitarbeitende nützlich sein. Mittlerweile bieten zahlreiche Kassenärztliche Vereinigungen spezielle Trainingsseminare zur Deeskalation an, um im Notfall durch effektiv wirkende Strategien gut vorbereitet zu sein. Zudem kann über installierte Notfallschalter die Aufmerksamkeit von Kollegen/-innen und Mitarbeitern/-innen gezielt erreicht werden.