Beim Thema Umweltbelastung und Emissionen denkt man sicher nicht als erstes an eine Arztpraxis. Immerhin gilt der Praxisbetrieb im Vergleich zu anderen Bereichen doch als recht „sauber“. Trotzdem täuscht dieser Eindruck. Schaut man genauer hin, ist mancher Praxisprozess durchaus umweltkritisch und es lässt sich einiges für die „grüne“ Arztpraxis tun.
Der CO2-Fussabdruck von Schweizer Arztpraxen
„What is the carbon footprint of primary care practices?“ („Was ist der CO2-Fussabdruck von Hausarztpraxen?“): so lautet die Überschrift einer kürzlich veröffentlichten Unisanté-Studie. Sie hat erstmals die Umweltbelastungen durch Schweizer Arztpraxen näher untersucht und dabei interessante Erkenntnisse gewonnen. Unisanté ist ein Lausanner Universitätszentrum für Allgemeinmedizin und öffentliche Gesundheit.
Konkret wurden zehn Praxen in der Westschweiz genauer unter die Lupe genommen. Eine durchschnittliche Praxis (Zwei Arztkräfte und zwei Vollzeit-Assistenzkräfte, 207 qm Fläche, 24 Konsultationen pro Tag) hinterlässt demnach einen jährlichen CO2-Fussabdruck von 30 Tonnen CO2 eq. Bei diesem Wert gibt es allerdings von Praxis zu Praxis erhebliche Unterschiede. 45,7 Prozent der CO2-Belastung entfällt im Schnitt auf den Bereich Transport und Verkehr. Die Beheizung der Praxisräume verursacht 29,8 Prozent der Umweltbelastung. Medizinische Verbrauchsmaterialien machen 5,5 Prozent des CO2-Fussabdrucks aus. Verschwindend gering ist dagegen der Beitrag von Labor- und Röntgenstrahlen mit unter einem Prozent.
„Grüne“ Arztpraxis – welche Ansätze sind möglich?
Aus den Belastungs-Anteilen wird unmittelbar deutlich, wo Massnahmen ansetzen müssen, um dem Ziel „grüne“ Arztpraxis näher zu kommen. Es ist kaum zielführend, den Fokus auf einen Bereich zu legen, der tatsächlich nur wenig zum CO2-Fussabdruck beiträgt.
Handlungsfeld Transport und Verkehr
Dementsprechend muss ein Massnahmen-Schwerpunkt bei Transport und Verkehr liegen. Dieser Bereich macht fast die Hälfte der CO2-Belastung aus. Der Grund: das Praxis-Personal fährt nach wie vor überwiegend mit dem Auto zur Arbeit, obwohl die meisten Praxen ein urbanes Umfeld haben. Und auch die Patienten/-innen nutzen für den Gang zum Arzt in der Regel den PKW. Sehr oft stünde der ÖPNV oder das Fahrrad als Alternative zur Verfügung. Manchmal wäre die Praxis sogar fussläufig erreichbar. Fahrgemeinschaften, ÖPNV-Jobtickets oder Fahrrad-Aktionstage sind Möglichkeiten, um als Arbeitgeber den Verzicht auf das Auto zu fördern. PKW-Nutzung durch Patienten/-innen lässt sich durch verstärktes Angebot an Video-Sprechstunden, mehr telefonische Bearbeitung von Anliegen und Motivation zum Auto-Verzicht unter dem Motto „Bewegung ist gesund“ reduzieren. Natürlich nur, wenn es passt.
Handlungsfeld Praxis-Infrastruktur
Bei der Untersuchung wurde eine durchschnittliche Praxis-Grösse von 100 qm pro ärztliche Fachkraft ermittelt. Das ist deutlich mehr als die von der FMH – dem ärztlichen Schweizer Berufsverband – empfohlenen 60 qm. Demnach wären Arztpraxen um rund zwei Drittel zu gross. Überflüssige Raumkapazitäten verursachen Heizungs- und Energiekosten, die vermeidbar sind. Die Heizung schlägt dabei besonders umweltkritisch zu Buche. Eine wirksame Massnahme für eine „grüne“ Arztpraxis ist daher, sich räumlich zu beschränken. Doch die Aufgabe der bisherigen Räumlichkeiten stellt nicht für jeden Praxisbetreiber eine Option dar. Man kann aber auch sonst einiges tun, um bei Heizenergie zu sparen. Raumtemperaturen lassen sich oft ohne Komfortverlust um ein bis zwei Grad senken, in nicht genutzten Räumen wird keine Warmwasserversorgung benötigt. Bei Immobilieneigentum sind Massnahmen zur Energieeffizienz durch Dämmung, moderne Heizungstechnik oder Einsatz von Photovoltaik bzw. Solarthermie möglich.
Handlungsfeld Verbrauchsmaterialien und Geräte-Betrieb
Kompressen, Schutzeinlagen aus Plastik, Handschuhe und Masken werden in grossen Mengen in Arztpraxen verbraucht. Hier lässt sich nicht immer ohne weiteres sparen. Man kann aber „überverpackte“ Produkte vermeiden und versuchen, den Müllanfall zu reduzieren. Sterile Kompressen sind zum Beispiel nicht immer notwendig. Auf Verbrauchsmaterialien mit Baumwollanteil sollte man möglichst verzichten, da Baumwollverarbeitung wasserintensiv ist und weite Transportwege besitzt. Weniger Stromverbrauch bei medizinischen Geräten durch gezieltes Ein- und Ausschalten hat nur geringe Effekte, grösser sind die Auswirkungen bei Computern, Telefonen und Druckern. Hier kann nicht nur Strom gespart werden, weniger Betriebszeit „im Leerlauf“ bedeutet auch längere Lebensdauer und damit mehr Nachhaltigkeit.
„Grüne“ Arztpraxis: Die Rolle von Medikamenten
Der CO2-Abdruck von Medikamenten wurde in der Studie nicht untersucht. Dass Arzneimittel „umwelt- und klimarelevant“ sind, war den Autoren dabei durchaus bewusst. Allerdings hat ein/e Arzt/Ärztin als „letztes Glied in der Kette“ hier nur wenig Einfluss aus Umwelteffekte. Es kann auch nicht Sinn und Zweck sein, auf Verschreibung eines medizinisch angezeigten Arzneimittels aus Umweltschutzgründen zu verzichten. Bewusst nachhaltige Medikamente sind bisher noch eine Rarität. Hier sind vor allem die Hersteller gefragt.
„Grüne“ Arztpraxis: Sensibilisierung notwendig
Vielen Praxisbetreibern dürfte die Umweltrelevanz ihrer Tätigkeit bisher kaum bewusst sein. Der CO2-Fussabdruck steht schliesslich nicht im Fokus der ärztlichen Berufsausübung. Umso wichtiger ist nach Ansicht der Studien-Autoren, für das Thema „grüne“ Arztpraxis zu sensibilisieren. Die Untersuchung leistet einen aktiven Beitrag dazu. Über Nachhaltigkeit im Praxisbetrieb sollte aber schon früh hingewiesen werden. Am besten schon während der medizinischen Ausbildung. Hier steht das Thema bislang noch nicht auf dem Lehrplan. Zeit, dies zu ändern.