Immer weniger junge Ärzte und Ärztinnen wünschen sich, ihren Facharzttitel im Bereich “Psychiatrie und Psychotherapie” zu absolvieren. Dies zeigte nun eine Studie des Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung SIWF. Das ist gleichzeitig auch der Grund, weswegen so viele Psychiater/-innen aus dem Ausland kommen. Doch warum sind gerade deutschsprachige Psychiater so wichtig? Und gibt es Lösungen für die gravierende Situation?
80 % der neuen Psychiatrie-Fachärzte ohne Schweizer Grundausbildung
Nach einer aktuellen Auswertung weisen im grössten Fachgebiet der “Allgemeinen Inneren Medizin” 65 % der Assistenzärzte ein Schweizer Arztdiplom auf. Im zweitgrössten Fachbereich “Psychiatrie und Psychotherapie” sind es jedoch nur 25 %.
Ausserdem ist nach einer Analyse der jährlichen Neuzulassungen des Medizinalberuferegisters (MedReg) der Anteil der Personen, welche ihr Medizinstudium beziehungsweise ihr Arztdiplom in der Schweiz absolvierten, über die Jahre hinweg gesunken. Demzufolge haben sich die Neuzulassungen in den letzten 10 Jahren von 42 % auf 19 % im Jahr 2019 reduziert.
Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass etwa 80 % der in den letzten Jahren neu zugelassenen Fachärzte in der Psychiatrie ihre Grundausbildung nicht in der Schweiz machten. Ferner ist jede zweite Fachperson, welche man treffen könnte, mittlerweile aus dem Ausland zugezogen. Überdies geht man davon aus, dass eine weitere Zunahme ausländischer Psychiater in den nächsten Jahren erfolgt.
Woher kommen die ausländischen Psychiater?
Viele Stellenangebote konnte man in früheren Jahren noch mit deutschen, österreichischen oder französischen Medizinern besetzen. Nun sehen sich allerdings zahlreiche Kliniken gezwungen, Personal ausserhalb der EU anzufragen.
Überwiegend Krankenhäuser ausserhalb grosser Zentren seien davon betroffen. Ein Beispiel: 40 % der Ärztinnen und Ärzte mit einem Nicht-EU-Diplom sind in den Psychiatriediensten des Kantons Solothurn und Aargau tätig.
Geringe Motivation für Facharzt Psychiatrie
Obwohl die Psychiatrische Fachgesellschaft SGPP probiert, junge Schweizer Ärztinnen und Ärzte für das Fach zu motivieren, schlagen die Versuche fehl. Ein Grund liege darin, dass mit dem Facharzttitel der Psychiatrie ein schlechtes Image einhergehe.
In diesem Zusammenhang erfährt das Facharztgebiet hinsichtlich der Länge und den Kosten schlechte Bewertungen. Im Kontrast zu anderen Fächern sei es zudem bedeutend, sich als kompletter “Mensch einzugeben”.
Ausländische Psychiater: sprachliche Barrieren
Eigentlich sollte ein Zuzug ausländischer Psychiater und Psychotherapeuten dann hilfreich sein. Aber das Problem besteht darin, dass gerade in diesem Fachgebiet sehr gute Deutschkenntnisse und das Verstehen des Dialekts gefragt sind.
Demnach beschweren sich vermehrt Patienten am Beratungstelefon, dass sie sich von ihren Psychologen beziehungsweise Therapeuten sprachlich nicht verstanden fühlen. Dies resultiere häufig darin, dass den Betroffenen nicht richtig geholfen werden könne. Mitunter öffneten sich die Patienten deswegen nicht.
Neben den sprachlichen Barrieren ist gleichermassen das kulturelle Verständnis von hoher Relevanz. Das sei vor allem dann bedeutungsvoll, wenn man zwischen den Zeilen lesen müsse. Doch man solle ebenfalls bedenken, dass sich die Integration rasch vollziehen könne, da erforderliche Sprachkenntnisse ja eine Voraussetzung für die Berufsausübung seien. Im Zuge dessen sei es dann auch möglich, schnell Dialekt zu verstehen.
Lösungsansatz der integrierten Versorgung
Das hiesige Versorgungssystem werde als “sehr ärztezentriert” definiert. Ein Chefarzt der Psychiatrischen Dienste am Spital Interlaken bezieht beispielsweise verstärkt Psychologen und erfahrene Fachkräfte ein, anstatt Psychiater aus dem Ausland zu rekrutieren. Ein Vorbild sind für ihn die Versorgungsmodelle in Holland oder Skandinavien.
Ein Grossteil der Kliniken entwerfe bereits als Konsequenz des Fachkräftemangels neue Zusammenarbeitsmodelle. Psychologen und andere Berufsgruppen sollen mehr Kompetenzen und Tätigkeiten erhalten. Wichtig sei noch die Abklärung rechtlicher und tarifarischer Faktoren sowie Weiterbildungsänderungen.
Eine integrierte Versorgung sei ein Lösungsansatz, welcher bisher jedoch nur wenig Anklang finde. Klar ist allerdings, dass etwas gegen diesen prekären Zustand unternommen werden muss.