Geht es um die Chefarztgehälter in der Schweiz, gibt es wenig Transparenz. Weder beim Bundesamt für Statistik (BFS) noch beim Spital- und Ärzteverband liegen aktuelle Daten vor. Einer Hochrechnung des Vergütungsberaters Urs Klingler zufolge verdient jeder vierte Chefarzt zwischen 350’000 und 1,5 Millionen Franken im Jahr. Eine Mitgliederumfrage des Vereins der Leitenden Spitalärzte der Schweiz (VLSS) kommt auf etwas andere Werte, verzeichnet über die letzten drei Jahre hinweg allerdings einen Anstieg der Chefarztgehälter.
Jeder vierte Chefarzt verdient bis zu 2,5 Millionen im Jahr
Die Hochrechnung von Urs Klinger nutzt die Daten von 174 Spitälern aus dem Datensatz des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) als Grundlage. Demnach verdienen Chef- und Belegärzte in der Schweiz zwischen 350’000 und 1,5 Millionen Franken im Jahr. Jeder vierte Chef- oder Belegarzt erhält sogar ein Jahresgehalt von mehr als 1,5 Millionen Franken.
Als Basis für die Berechnung der Chefarztgehälter dienen dabei die Personalkosten sowie die Zahl der angestellten Ärzte an den 174 erfassten Spitälern im Jahr 2015. 63 Prozent des gesamten Betriebsaufwand entfallen auf die Personalkosten. Bei rund 21’000 angestellten Ärzten ergibt dies laut Klingler einen Personalaufwand von 4,6 Milliarden Franken, woraus sich für Spitalärzte ein Durchschnittslohn von 220’000 Franken im Jahr ableitet. Ausgehend von der Tatsache, dass Chefärztinnen und Chefärzte ein höheres Gehalt beziehen als die unteren Arztchargen, ergibt sich für die Chefärzteschaft ein Mediengehalt von 850’000 Franken im Jahr.
Umfrage des VLSS: Chefarztgehälter steigen auf fast 400’000 Franken im Jahr
Auch der VLSS geht der Frage nach, wie sich die Gehälter der Chefärztinnen und Chefärzte in der Schweiz entwickeln. Über Mitgliederbefragungen evaluiert der Verein seit 2003 die Arbeitsverhältnisse der leitenden Ärzteschaft. Im Jahr 2019 fand die dritte dieser Mitgliederbefragungen statt. Insgesamt 318 Personen nahmen teil. Die Ergebnisse sind zwar nicht repräsentativ, zeichnen dem VLSS zufolge jedoch ein recht genaues Bild der Einkommenssituation.
Während das Jahresgehalt der Chefärztinnen und Chefärzte von 2002 bis 2011 von rund 390’000 Franken auf etwa 350’000 Franken sank, lässt sich für die vergangenen drei Jahre wieder ein leichter Anstieg feststellen. Im Jahr 2019 verdienten die befragten Chefärztinnen und Chefärzte so fast 400’000 Franken im Jahr.
Wie entwickelt sich die Einkommenssituation der Kaderärzte?
Bei den Kaderärzten zeigt sich eine entgegengesetzte Entwicklung. Von rund 280’000 Franken im Jahr 2002 stieg das Jahresgehalt auf etwa 290’000 Franken im Jahr 2011. Seitdem ist es wieder auf etwa 275’000 Franken gesunken. Dabei gibt es allerdings deutliche regionale Unterschiede. In der Region 2 stiegen die Gesamteinkommen der leitenden Ärzteschaft von 2002 bis 2019 an, während sie in den Regionen 1 und 4 stabil blieben. In der Region 3 sind die Gehälter zwischen 2011 und 2016 zunächst gesunken, seitdem steigen sie wieder leicht an.
Nach ihrer Einkommenssituation befragt, geben 52 Prozent der VLSS-Mitglieder an, dass sich ihr Einkommen in den letzten Jahren nicht verändert hat. 31 Prozent der Kaderärzte sagen, dass sie Einbussen in Kauf nehmen mussten. Bei 17 Prozent der Kaderärzte hat sich das Gehalt dagegen verbessert. Geschlechterspezifische Unterschiede stellt der VLSS bei seiner Befragung nicht fest.
Wie setzt sich das Gehalt der leitenden Ärzteschaft zusammen?
Neben dem Grundsalär erhalten Chefärztinnen und Chefärzte an vielen Spitälern eine direkte Beteiligung an den Umsätzen. Ein Plus an medizinischen Leistungen oder an eingesetztem Zeitaufwand bedeutet damit auch einen höheren Lohn. Zusätzliche Honorare lassen sich über eine privatärztliche Tätigkeit erzielen, bei denen die Kosten direkt mit zusatzversicherten Spitalpatienten abgerechnet werden. Einige Chefärzte und Chefärztinnen nutzen zudem die Möglichkeit, neben ihrer Tätigkeit im Spital eine private Praxis zu betreiben.
Der VLSS-Befragung zufolge machten die variablen Einkommensbestandteile aus Umsatzbeteiligungen sowie die Honorare und Einkünfte aus privatärztlicher Tätigkeit im Jahr 2003 noch rund die Hälfte des gesamten Einkommens aus. Im Jahr 2016 erzielten die VLSS-Mitglieder dagegen nur noch zehn bis 20 Prozent ihres Gehalts mit Honoraren und Umsatzbeteiligungen. In den letzten drei Jahren lässt sich jedoch wieder ein Anstieg der variablen Einkommensbestandteile beobachten. Heute machen sie ein Drittel des Cheftarztlohns aus. Gleichzeitig wurden die Fixeinkommen reduziert.
An diesem System gibt es durchaus Kritik. Hohe Boni und Umsatzbeteiligungen verlocke Ärzte dazu, unnötige Leistungen durchzuführen, etwa im Zweifelsfall eher zu operieren statt einen konservativen Behandlungsansatz zu wählen. Da diese Leistungen aus der Grundversicherung bezahlt werden, gehe das zu Lasten aller Prämienzahler. Auch der VLSS spricht sich dagegen aus, die leitende Ärzteschaft in zu grossem Umfang am Spitalergebnis zu beteiligen.