In deutschen Apotheken sind einige Medikamente bereits Mangelware. Insbesondere fehlt es an Kinder-Schmerzmitteln mit den Wirkstoffen Paracetamol und Ibuprofen. Eine akute Welle an Erkältungs- und Infektionskrankheiten führt zu einer verstärkten Nachfrage. Hinzu kommen Lieferschwierigkeiten aus Asien. Die Apothekerbranche befürchtet, dass ähnliche Engpässe auch in der Schweiz auftreten könnten.
Engpässe betreffen Arzneimittel und Verpackungsmaterial
Enea Martinelli, Vizepräsident des Schweizerischen Apothekerverbandes Phamarsuisse und Chefapotheker der Spitäler Frutingen, Meiringen, Interlaken, führt eine Datenbank über Lieferengpässe für Arzneimittel. Ob Medikamente in der Schweiz tatsächlich knapp werden, hält er für schwer vorauszusagen. Für gewisse Wirkstoffe wie Paracetamol bestehen aber bereits Versorgungsprobleme. Auch Verpackungsmaterial wie Alufolien für Tablettenblister und Karton ist für die Hersteller zeitweise schwierig zu bekommen.
Engpässe in der Arzneimittelversorgung sind kein neues Thema. 2018 befanden sich die Lieferengpässe für Arzneimittel auf einem Rekordhoch. In der Kritik stand damals vor allem die Pharmaindustrie, deren interner Kostendruck dazu führte, gewisse Wirkstoffe nur an wenigen Standorten zu produzieren. Der Ausfall eines Werks wirkt sich auf den gesamten Weltmarkt aus. 2020 traten Engpässe aufgrund der Sparpolitik des Bundes auf.
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) nennt weitere mögliche Gründe: So schwankt unter anderem die Nachfrage für bestimmte Arzneimittel stark, etwa für Impfstoffe oder, wie derzeit in Deutschland, für Paracetamol und Ibuprofen. Ferner führt das Lean Management in der Lagerbewirtschaftung zu geringen Lagerbeständen. Die Globalisierung habe schliesslich zur Folge, dass sich Ausfälle oder Qualitätsprobleme in der Herstellungskette weltweit auswirken. So steht derzeit etwa die Abhängigkeit des Medikamentenmarkts von China und Indien in der Kritik. 70 Prozent der Produktionsstandorte befinden sich in China, 80 Prozent in Indien.
Steigende Medikamente-Nachfrage
Eine steigende Nachfrage nach Medikamenten gibt es nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz. Den aktuellen Statistiken zum Medikamentenmarkt zufolge haben die Schweizer Krankenversicherer von Mai 2021 bis April 2022 rund 8,3 Milliarden Franken für Arzneimittel ausgegeben, eine Milliarde mehr als im Vorjahreszeitraum. Das entspricht einer Zunahme von 13 Prozent. In den Vorjahren stiegen die Kosten jeweils nur um rund fünf Prozent.
Zurückführen lässt sich diese Entwicklung unter anderem auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Seit der Lockerung der Corona-Schutzmassnahmen verschreiben Ärzte/-innen zum Beispiel wieder mehr Arzneimittel für den Atemtrakt. Auch der Verkauf von Antibiotika ist wieder angestiegen. Während der Lockdown-Phasen gab es zudem weniger Arztbesuche, in Folge wurden weniger therapeutische Mittel wie Blutdrucksenker verschrieben. In diesem Bereich kommt es nun zu Nachholeffekten.
Auf Versorgungsengpässe reagieren einige Konsumenten mit Hamsterkäufen. Dabei legen sie sich auch Arzneimittel zu, die sie nicht zwingend benötigen. Wie sich aus Martinellis Datenbank entnehmen lässt, zeigt sich dies derzeit bei Ozempic, einem Medikament für Diabetiker, dass auch für Life-Style-Zwecke verwendet wird. Arzneimittel zur Behandlung von Schlaganfällen würden derzeit ebenfalls knapp. Martinelli sieht aber keinen Grund zur Panik gegeben. Schweizer Apotheken bereiten sich so weit wie möglich auf Engpässe vor und stimmen ihre Vorräte auf die Stammkundschaft ab.
Europäische Lösungen gefordert
Engpässe in der Medikamentenversorgung stellen ein internationales Problem dar. Massnahmen des Schweizer Bundes und der Kantone greifen daher zu kurz. Um die Situation zu verbessern, hat das BAG einen Bericht erarbeitet, der die Zusammenhänge der gesamten Versorgungskette mit einbezieht. Der Bundesrat hat den Bericht bereits im Februar 2022 zur Kenntnis genommen und einen umfassenden Massnahmenkatalog zur weiteren Prüfung verabschiedet. Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe soll die vorgeschlagenen Massnahmen bis Ende 2022 analysieren und bis Ende 2022 konkrete Umsetzungsvorschläge formulieren.
Die Massnahmen umfassen unter anderem den Ausbau der Lagerhaltung für knappe Medikamente, die Ausweitung der Pflichtlagerhaltung für Wirkstoffe über lebensnotwendige Arzneimittel hinaus sowie Erleichterungen für den Import und bei der Zulassung. Auch die Lösungsansätze anderer Länder sollen untersucht werden. Darüber hinaus bedarf es auch internationaler Strategien und einer verstärkten europäischen Zusammenarbeit, um die Arzneimittelversorgung sicherzustellen.