Rund ein Drittel der Schweizerischen Medizinstudierenden denkt über einen Abbruch nach. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage der Vereinigung für Medizinstudierende (Swimsa) unter 2300 angehenden Ärztinnen und Ärzten. Demnach überlegen 34 Prozent der Studierenden nach ihrem Wahlstudienjahr, einen anderen Beruf zu ergreifen. Grund sind die erlebten Arbeitsbedingungen.
Praktischer Arbeitsalltag führt zur Ernüchterung
Das Schweizerische Gesundheitssystem braucht mehr medizinischen Nachwuchs. Derzeit machen Ausländer rund 40 Prozent der Ärzteschaft aus. Um mehr eigene Nachwuchskräfte zu schulen, hat der Bund bereits im Jahr 2016 eine Ausbildungsoffensive gestartet – mit Erfolg: Bis zum Jahr 2021 ist die Zahl der Studierenden im Fach Humanmedizin um 50 Prozent gestiegen und lag zu diesem Zeitpunkt bei 1730 jungen Leuten. Laut FMH-Präsidentin Yvonne Gilli bringen es aber nur rund 1300 Studierende bis zum Abschluss. Das reiche nicht aus, um die bestehende Nachfrage zu decken.
Aus welchem Grund brechen so viele Medizinstudierende ihre Ausbildung ab? Antworten gibt eine aktuelle Umfrage, die der Swimsa unter 2300 Medizinstudierenden im Durchschnittsalter von 23 Jahren durchgeführt hat. Wie die Ergebnisse zeigen, starten die jungen Menschen durchaus motiviert in ihr Studium: In ihrem gewählten Beruf sehen sie einen „sinnvollen Job“, der sie mit Menschen arbeiten lässt. Diese Faktoren wiegen der Umfrage zufolge weit stärker als ein hoher Lohn oder soziale Anerkennung. Nach dem Wahlstudienjahr im fünften oder sechsten Studienjahr, in dem die angehenden Mediziner praktische Erfahrungen mit dem Arbeitsalltag in einem Spital machen, wächst allerdings die Skepsis.
Insgesamt geben 34 Prozent der Studierenden an, über einen Abbruch nachzudenken. Unter den Medizinstudierenden im sechsten Studienjahr sind es 43 Prozent. Als Hauptgrund für diese Gedanken nennen die Befragten die Aussicht auf einen Job mit unausgewogener Work-Life-Balance. Vor allem bei Frauen ziehen nach den ersten Praxiserfahrungen einen Berufswechsel in Erwägung.
Nur 28 Prozent der Medizinstudierenden möchten nach dem Abschluss Vollzeit arbeiten
Auch bereits berufstätige Ärzte zeigen sich von den herrschenden Arbeitsbedingungen oft überfordert. Schon im Jahr 2016 dachte jeder zehnte Arzt darüber nach, den Beruf vorzeitig aufzugeben. Eine FMH-Befragung aus dem Jahr 2022 zeigt, dass unter den Assistenzärzten aktuell sogar 25 Prozent erwägen, eine Stelle ausserhalb des Gesundheitswesens zu suchen. Eine Ursache dafür sind die langen Arbeitszeiten, die bei einer Vollzeitstelle 50 Wochenstunden betragen sollten, in der Realität aber häufig 56 Wochenstunden betragen.
Laut der Swimsa-Umfrage kommen derart lange Arbeitszeiten für eine Mehrzahl der Medizinstudierenden nicht mehr in Frage. Nur 28 Prozent der Befragten können sich vorstellen, eine 100-Prozent-Stelle anzunehmen. 96 Prozent denken, bei einem Vollzeitpensum dürfte die Arbeitszeit 50 Wochenstunden nicht überschreiten, 60 Prozent halten 42 Stunden oder weniger für angemessen.
Empfehlung der Swimsa: Rahmenbedingungen verbessern
Angesichts der Umfrageergebnisse hält es der Swimsa für dringen nötig, die Rahmenbedingungen der ärztlichen Tätigkeit zu verbessern. Die wichtigsten Empfehlungen des Verbands:
- Die im geltenden Arbeitsrecht festgeschriebenen wöchentlichen Arbeitszeiten für Assistenzärzte müssen eingehalten werden.
- Der Anteil an nicht-medizinischen Aufgaben sollte reduziert werden, zugleich sollten mehr Möglichkeiten für flexible Arbeitszeitmodelle und Teilzeitarbeit geschaffen werden.
- Die Digitalisierung und Harmonisierung des Schweizer Gesundheitssystems müsse weiter vorangetrieben werden, um die Arbeit effizienter zu gestalten.
Der Swimsa sieht alle Stakeholder im Schweizerischen Gesundheitssystem in der Pflicht, für diese Verbesserungen zu sorgen und zu verhindern, dass noch mehr angehende Mediziner sich für einen anderen Beruf entscheiden.