Organtransplantationen können Leben retten und Betroffenen wieder ein gutes Leben ermöglichen. Die Transplantationsmedizin ist weit fortgeschritten und erlaubt heute Hilfe, die noch vor einigen Jahren undenkbar schien. Der entscheidende Engpass sind die Spenderorgane. In der Schweiz liessen sich mehr Organe transplantieren, wenn ausreichend Spender zur Verfügung stünden. In einer Volkabstimmung hat sich die Schweizer Bevölkerung kürzlich für eine erweiterte Widerspruchslösung entschieden. Das soll künftig zu einem mehr in der Organspende führen. Doch bis das Votum umgesetzt ist, dürfte es noch einige Zeit dauern.
In der Schweiz werden jährlich etwa 500 bis 600 Organtransplantationen durchgeführt. Rund 60 Prozent davon sind Nierentransplantationen, ein Viertel Lebertransplantationen. Dem stehen jährlich rund 150 bis 175 postmortale Organspenden gegenüber. Dazu kommen noch Organspenden zu Lebzeiten, was bei Nierentransplantationen häufig der Fall ist. Die Zahl derjenigen, die auf ein Spenderorgan warten, ist deutlich grösser. Auf der Warteliste für Transplantationen stehen seit Jahren ständig rund 1.500 Personen. Das ist fast das Dreifache der tatsächlich durchgeführten Organübertragungen p.a.
Im internationalen Vergleich bewegt sich die Schweizer Organspendebereitschaft im Mittelfeld, im DACH-Raum vor Deutschland, aber hinter Österreich. Die grösste Spendenbereitschaft besteht in Europa in Spanien mit 49,6 postmortalen Organspenden pro einer Million Einwohner und Jahr, in der Schweiz sind es 18,4.
Organspende: Erweiterte Widerspruchslösung statt expliziter Zustimmung
Bisher ist in der Schweiz für Organspenden die explizite Zustimmung der potenziellen Spenderperson erforderlich. Dies ist in Europa eine Ausnahme. Nur Deutschland, Dänemark, Rumänien und Litauen haben vergleichbare Regelungen. In allen anderen Staaten des EU- und EWR-Raums gelten Widerspruchslösungen – wenn auch in unterschiedlicher Ausformung. Widerspruchslösung bedeutet, dass von der mutmasslichen Zustimmung einer möglichen Spenderperson zur (postmortalen) Organtransplantation ausgegangen wird, es sei denn es wurde zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen.
Mit der am 15. Mai 2022 durchgeführten Volksabstimmung wurde jetzt in der Schweiz der Weg für eine erweitere Widerspruchslösung frei gemacht. 60,2 Prozent der Teilnehmenden stimmten für diese Lösung. Besonders hoch war die Zustimmung in der Romandie und im Tessin. Weniger als 50 Prozent Zustimmung gab es lediglich in den Kantonen Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerhoden, Schaffhausen und Schwyz.
Zwei „zeitraubende“ Herausforderungen für Umsetzung – Gesetzgeber ist am Zug
Die Widerspruchslösung soll grundsätzlich nur für Über-16-Jährige gelten. Eine fehlende schriftliche Willensäusserung berechtigt auch noch nicht automatisch zur Organentnahme. Zunächst sind die nächsten Angehörigen zu befragen. Wissen sie um eine ablehnende Haltung der Person zur Organspende, können sie gegen die Entnahme entscheiden. Ist kein nahestehender Angehöriger erreichbar, darf keine Organentnahme erfolgen. Das Entnahmeverbot gilt auch, wenn der Tod ausserhalb des Spitals eintritt. Die „stillschweigende Zustimmung“ ist also an viele Einschränkungen und Bedingungen gebunden. Sie stellt keineswegs einen Freibrief dar.
Nach der Zustimmung zur Widerspruchslösung ist es jetzt am Gesetzgeber, für die Umsetzung zu sorgen. Bis eine entsprechende Umsetzungsverordnung auf der Basis des geänderten Transplantationsgesetzes in Kraft tritt, dürfte es allerdings mindestens 2024 werden. Das schätzt das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Zwei Hürden stehen einer schnellen Umsetzung im Wege: das geplante nationale Register für Organspenden und die notwendige Aufklärung der Bevölkerung:
- es soll ein nationales Online-Register geschaffen werden, in dem man seine persönliche Haltung zur Organspende einträgt. Die Errichtung des Registers wirft eine Fülle an Fragen im Hinblick auf Datensicherheit, Datenschutz, sicheren Zugang und Zugangsberechtigung auf. Die Anforderungen sind besonders streng und die zu lösenden Fragen nicht einfach. Sie lassen sich vor allem nicht kurzfristig klären;
- die zweite Herausforderung besteht in der notwendigen Aufklärung der Schweizer Bevölkerung im Vorfeld des Inkrafttretens der neuen Regelung. Alle in der Schweiz lebenden Personen sollen über deren Bedeutung und Auswirkungen umfassend informiert werden – mit dem Ziel, dass möglichst viele Menschen das Online-Register nutzen. Zwar wird es auch weiterhin Möglichkeiten geben, seinen Willen zu Organspenden auch ausserhalb des Registers zu bekunden – zum Beispiel im Rahmen einer Patientenverfügung. Das soll aber eher die Ausnahme als die Regel sein. Das BAG plant breit angelegte Informationskampagnen im Fernsehen, in Printmedien, im Internet und über soziale Netzwerke. Auch hierfür wird Zeit benötigt.
Swisstransplant für Registerführung in Aussicht genommen
Für die Führung des Online-Registers ist Swisstransplant – die Schweizerische Nationale Stiftung für Organspende und Transplantation – in Aussicht genommen. Die Organisation betreibt bereits ein eigenes Register mit vergleichbarer Ausrichtung. Gerade bei diesem Register hat ein Fernsehbericht aber kürzlich Sicherheits-Schwachstellen aufgedeckt. Es kann daher nicht als Blaupause für die angestrebte Lösung dienen. Und für die Umsetzung müssen nicht nur die richtigen Anforderungen definiert werden, auch die Entwicklung benötigt ihre Zeit.