Die ambulante Grundversorgung bildet in fast jedem Land die Basis des Zugangs zu medizinischen Leistungen. Sie wird in der Schweiz wesentlich durch die Hausärzte „vor Ort“ getragen. Diese werden – altersbedingt – allerdings zunehmend rarer. Was wünscht sich die Schweizer Bevölkerung in Zukunft bezüglich der ambulanten Grundversorgung? Mit dieser Frage hat sich eine umfassende Studie des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (OBSAN) befasst. Hier die wesentlichen Ergebnisse im Überblick.
OBSAN ist eine Gemeinschaftsinstitution der Schweizer Eidgenossenschaft und der Kantone, die sich auf wissenschaftlicher Basis mit grundlegenden Fragen des Gesundheitswesens in der Schweiz befasst. Vor wenigen Tagen wurden von OBSAN die Resultate einer umfangreichen Befragung zu den aktuellen Erwartungen der Schweizerinnen und Schweizer an die ambulante Grundversorgung vorgestellt. Die Untersuchung stellt ein „Gemeinschaftswerk“ der Universität Luzern und von Interface Politikstudien Forschung Beratung dar.
Das Nachfolgeproblem in der (haus-)ärztlichen Grundversorgung
Als ambulante Grundversorgung werden alle Krankenbehandlungen und medizinischen Leistungen bezeichnet, die ohne zeitweise Unterbringung in einem Krankenhaus oder einer Reha-Einrichtung erfolgen. Träger der ambulanten Grundversorgung sind überwiegend Ärzte und Fachärzte in freier Praxis, auch Zahnärzte zählen dazu. In der Schweiz gibt es derzeit rund 20.000 Ärzte im Praxissektor, auf Vollzeitäquivalente umgerechnet sind es allerdings nur 16.000 – der Grund: nicht immer ist Vollzeittätigkeit gegeben. Das Durchschnittsalter liegt bei 55 Jahren – etwa zehn Jahre höher als bei Ärzten in Spitälern. Man kann daher von einer gewissen Überalterung der freien Ärzteschaft sprechen. Die Nachfolge wird in vielen Arztpraxen zur Herausforderung der nächsten Jahre.
Worauf es Schweizerinnen und Schweizern bei der Grundversorgung ankommt
Noch macht sich das in der Befragung nicht bemerkbar, auch wenn es heute schon deutliche „Ungleichverteilungen“ bei der Ärztedichte gibt. Mit über vier „freien“ Ärzten pro 1.000 Einwohnern weist der Kanton Basel die höchste Ärztedichte auf, Schlusslicht ist der Kanton Uri mit knapp einem Arzt pro 1.000 Einwohnern. Bei den Antworten in der Untersuchung standen andere Themen im Vordergrund: die Qualität der ambulanten Grundversorgung, Kenntnisse und Erfahrung der Behandelnden, das Mitspracherecht bei Behandlungen und die Behandlungskosten. Es ging um Zufriedenheit und das Vertrauen in die medizinische Ambulanz. Man erfasste auch Präferenzen bezüglich der künftigen Versorgungsgestaltung. Befragt wurde eine – nach soziodemographischen und gesundheitsbezogenen Merkmalen – repräsentative „Stichprobe“ von mehr als 5.350 Personen.
Wesentliche Erkenntnisse der Studie
Nachfolgend lesen Sie die wichtigsten Ergebnisse der Befragung thesenartig:
- die Kontinuität der Behandlung ist besonders wichtig. Man bevorzugt stets Versorgungsmodelle, bei denen Behandelnde die gesundheitliche Vorgeschichte der Patienten kennen und in die Patientenakte Einblick nehmen können;
- ebenfalls grossen Wert legt man darauf, als Patient in die Entscheidungsfindung bei der eigenen Behandlung einbezogen zu werden;
- der Hausarzt sollte hauptverantwortliche Behandlungsperson sein und eine zentrale Steuerungsfunktion übernehmen. Dieses Kriterium bewertet man allerdings nicht so hoch wie die Behandlungskontinuität und Mitspracherechte;
- relativ geringe Bedeutung haben Merkmale wie Öffnungszeiten oder angebotene Kommunikationskanäle;
- chronisch Kranke haben eine überdurchschnittlich ausgeprägte Präferenz für Hausärzte als erste Anlaufstelle und Behandlungs-Koordinatoren. Man lehnt Modelle mit Koordination durch Fachärzte oder Erstkontakt über Pflegefachpersonen aber nicht grundsätzlich ab. Nachgewiesene Fachkompetenz des Behandelnden ist für chronisch Kranke von besonderer Bedeutung;
- die Untersuchung legt auch regionale Unterschiede bei den Präferenzen offen. Tendenziell ist man in der Romandie und im Tessin etwas konservativer, was mögliche Erstkontakt-Optionen betrifft als in der Deutschschweiz. Dafür besteht eine grössere Offenheit bezüglich neuer Technologien beim Datentransfer. Längere Öffnungszeiten schätzt man mehr und man ist eher bereit, der Krankenversicherung Kompetenzen bezüglich der Koordinations-Zuweisung zuzugestehen;
- jüngere Menschen sind grundsätzlich flexibler und offener, was neue ambulante Versorgungsmodelle betrifft. Dem Hausarzt wird eine weniger entscheidende Bedeutung zugemessen als von älteren Menschen. Jüngere können sich einen Erstkontakt per App vorstellen. Man würde digitale Behandlungsangebote ebenso schätzen wie längere Öffnungszeiten. Besonders wichtig für junge Menschen: neue Modelle dürfen nicht teurer sein als die jetzige Versorgung. Diese Altersgruppe ist besonders preissensibel.
Fazit: es soll alles so bleiben wie es ist?
In der Gesamtbewertung der Befragungsergebnisse kommen die Studienautoren zu dem Ergebnis, dass die Schweizer Bevölkerung eigentlich mit dem Status quo in der ambulanten medizinischen Versorgung recht zufrieden ist und wenig Änderungsbedarf gesehen wird. Modelle, die Behandlungskontinuität versprechen und Patienten-Mitsprache ermöglichen, werden begrüsst. Interessant sei auch die vielfach festgestellte Offenheit gegenüber anderen Erstkontakt-Optionen als dem „klassischen“ Besuch beim Hausarzt. Das eröffnet unter Umständen Gestaltungsmöglichkeiten, sollte Hausärztemangel zu einem Problem werden. Das Kostenbewusstsein ist bereits heute stark ausgeprägt. Ambulante ärztliche Versorgung soll nicht teurer sein als heute und auch bei neuen Modellen bezahlbar bleiben. Das wünschen sich nicht nur jüngere Schweizer Bürgerinnen und Bürger.