Sind Abnehmspritzen ein medizinischer Durchbruch und Wundermittel bei Übergewicht oder steckt dahinter ein verstecktes Gesundheitsrisiko? Prominente Anwender wie Elon Musk und Kim Kardashian sowie zahlreiche Erfahrungsberichte in den sozialen Medien haben in den letzten Monaten viel Aufmerksamkeit auf diese neuartigen Medikamente gezogen. Ursprünglich zur Behandlung von Diabetes entwickelt, scheinen diese Spritzen einen weiteren, angenehmen Nebeneffekt zu haben: Sie reduzieren das Körpergewicht und bekämpfen Übergewicht. Damit würden sie der Adipositaswelle den Kampf ansagen, eine der grössten Gesundheitsrisiken in der westlichen Welt. Eine im Juli veröffentlichte Studie vergleicht nun zwei der marktführenden Wirkstoffe, Tirzepatid und Semaglutid – mit recht eindeutigem Ergebnis.
Abnehmspritze – Wirkungsweise
In den Abnehmspritzen stecken als Wirkstoffe sogenannte “GLP-1-Rezeptor-Agonisten”. Diese gehören wiederum zur Gruppe der Inkretin-Analoga. Bei Inkretinen handelt es sich prinzipiell um körpereigene Hormone. Bei der Aufnahme von Kohlenhydraten sorgen diese vom Darm ausgeschütteten Botenstoffe dafür, dass Insulin aus der Bauchspeicheldrüse freigesetzt wird. Darüber hinaus hemmen sie die Magenentleerung und steigern das Sättigungsgefühl. Diese Medikamente gibt es als Spritze oder als Pen. Ursprünglich waren sie ausschliesslich zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 vorgesehen.
Wie wirken Tirzepatid und Semaglutid?
Auch Tirzepatid und Semaglutid sind Inkretin-Analoga und üben daher im Körper ihre Wirkung an GLP-1-Rezeptoren aus.
Tirzepatid (Handelsname: “Mounjaro”) hat darüber hinaus ebenfalls eine analoge Wirkung wie GIP (Glucoseabhängiges Insulinotropes Peptid) und imitiert damit die Wirkung zweier Inkretine. Auf diese Weise wird die glykämische Kontrolle verbessert und der Blutzucker gesenkt.
Semaglutid (Handelsname: “Ozempic” oder “Wegovy”) besitzt des Weiteren die Besonderheit, dass es im Blut an Albumin gebunden wird. Somit entsteht eine Art Vorrat im Blutkreislauf, was die Wirkdauer verlängert.
Beide Wirkstoffe verzögern ausserdem die Magenentleerung. Dieser Effekt nimmt jedoch nach längerer Einnahmedauer ab.
Unerwünschte Nebenwirkungen treten vor allem im Magen-Darm-Trakt auf. Zu den häufigsten gehören in dieser Hinsicht: Verstopfung, Völlegefühl, Übelkeit, Müdigkeit, Durchfall und Bauchkrämpfe.
Wer bekommt die Abnehmspritze verschrieben?
In der Schweiz kann die Abnehmspritze bisher nur von einem Facharzt für Endokrinologie oder in einem spezialisierten Adipositas-Zentrum verschrieben werden. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten des Medikaments, wenn entweder ein BMI über 35 vorliegt oder ein BMI über 28 mit Begleiterkrankung (z. B. Bluthochdruck, Prädiabetes, erhöhte Blutfette). Ausserdem muss über den Zeitraum der Einnahme eine dokumentierte Ernährungs- und Aktivitätsumstellung vorliegen.
Studie: Tirzepatid versus Semaglutid – Was wirkt besser?
Eine Forschungsgruppe hat Anfang Juli 2024 eine Studie veröffentlicht, in der Tirzepatid und Semaglutid direkt miteinander verglichen wurden. Obwohl alle 18.386 eingeschlossenen Patienten an Typ-2-Diabetes litten, lag das Augenmerk ausschliesslich auf dem Gewichtsverlust über den Beobachtungszeitraum. Einschlusskriterium war zudem ein BMI über 27 und die Patienten sollten das erste Mal überhaupt mit einem Inkretin-Analogon behandelt werden.
Während die gastrointestinalen Nebenwirkungen in beiden Patientengruppen annähernd gleich waren, zeigte sich bei der Abnehmmenge ein deutlicher Unterschied: Die Einnahme von Tirzepatid führte zu einem grösseren Gewichtsverlust als Semaglutid.
Genauer gesagt nahmen Patienten mit Tirzepatid 2,4 Prozent mehr (nach drei Monaten) beziehungsweise 6,9 Prozent mehr (nach zwölf Monaten) ab, als Patienten, die mit Semaglutid behandelt wurden.
Den relativen, durchschnittlichen Gewichtsverlust der Untergruppen laut Studie zeigt diese Tabelle:
Zeitraum | Gewichtsverlust Semaglutid | Gewichtsverlust Tirzepatid |
3 Monate | -3,6% | -5,9% |
6 Monate | -5,8% | -10,1% |
12 Monate | -8,3% | -15,3% |
Quelle: Semaglutide vs Tirzepatide for Weight Loss in Adults With Overweight or Obesity
Fazit
Die ersten Studienergebnisse zur Abnehmspritze erscheinen vielversprechend. Es scheint so, als handle es sich hierbei um ein effektives Mittel zur Bekämpfung der Zivilisationskrankheit Adipositas. Andere Daten deuten jedoch darauf hin, dass sich der Gewichtsverlust lediglich über den Einnahmezeitraum des Medikaments aufrecht hält. Wird die Spritze abgesetzt, erreicht der Grossteil der Patienten nach einem bis 1,5 Jahren wieder sein Ausgangsgewicht und auch die Blutdruckverbesserung schmilzt dahin.
Weiterhin kritisieren Fachexperten, dass der “Hype” um die Abnehmspritzen vielen Diabetikern ihre Behandlungsgrundlage raubt. Auch in Europa kam es in letzter Zeit vermehrt zu Lieferengpässen bei Semaglutid und Tirzepatid. Der Run auf die vermeintlich simple Abnehmmethode per Spritze verwehrt anderen kranken Menschen ihre dringend benötigten Medikamente.
Auch sollte man bedenken, dass Beobachtungen über lange Zeiträume bisher noch nicht existieren. Da beide Medikamente erst seit 2022 auf dem Markt sind, können noch keine Aussagen zu Langzeitfolgen getroffen werden. Nichtsdestotrotz könnte es sich hierbei tatsächlich um einen medizinischen Durchbruch handeln, der Adipositas und den damit verbundenen Gesundheitsfolgen den Kampf ansagt.