Notfall-Praxen und Permanencen dürfen keine kategorischen Inkonvenienz-Pauschalen erheben. Einem aktuellen Urteil des Bundesgerichts zufolge sind zusätzliche Pauschalen nur zulässig, wenn die Konsultation tatsächlich ausserhalb der regulären Sprechstunde stattfindet. Das Bundesgericht folgt damit dem Standpunkt der Tarifsuisse AG, einer Tochter des Branchenverbands Santésuisse. Walk-in-Praxen und Permanencen drohen nun Rückzahlungen in Millionen-Höhe.
Keine Inkonvenienz-Pauschale für Konsultationen innerhalb der Öffnungszeiten
Der konkrete Streitfall bezieht sich auf eine Permanence aus Winterthur, die bis 17.30 Uhr als Hausarztpraxis arbeitete und bis 22.00 Uhr als Notdienstpraxis geführt wurde. Für Behandlungen nach 19.00 Uhr an Wochentagen sowie ganztägig an Sonn- und Feiertagen erhob die Praxis eine Inkonvenienz-Pauschale. Das Bundesgericht erklärte diese Pauschale nun für unzulässig. Inkovenienz-Pauschalen seien dazu vorgesehen, die Unannehmlichkeiten von Ärzten abzudecken, die ausserhalb ihrer normalen Praxiszeiten kurzfristige Sondereinsätze leisten. Da die betroffene Praxis mit Sprechstundenzeiten bis 22.00 Uhr werbe, seien diese Öffnungszeiten als regulär anzusehen. Die Praxis sei damit nicht berechtigt, für innerhalb dieser Sprechstundenzeiten durchgeführte Behandlungen zusätzliche Pauschalen zu verlangen.
Das Schiedsgericht in Zürich hatte zuvor eine Klage von 25 Krankenkassen zurückgewiesen, die für den Zeitraum zwischen Juli 2016 bis April 2021 eine Rückzahlung von 1,2 Millionen Schweizer Franken forderten. Das Schiedsgericht erklärte die Notfall-Pauschale für zulässig, sofern die Konsultation nach 19.00 Uhr tatsächlich dringlich gewesen sei. Auf diese Weise decke die Praxis ihren Notfalldienst ab und könne höhere Lohnauslagen für Abend-, Wochenend- und Feiertagsdienste begleichen. Das Bundesgericht widersprach dem Urteil des Schiedsgerichts jedoch und schloss sich damit der Sichtweise des Branchenverbands Santésuisse an.
Der Fall geht nun zurück an die Vorinstanz, die den Umfang der Rückerstattung prüfen muss. Das Geld soll laut Santésuisse in die Reserven der Krankenkassen fliessen und so den Prämienzahlern zugutekommen.
Auch City-Notfall in Bern von Rückzahlungen betroffen
Der Entscheid des Bundesgerichts könnte weitreichende Folgen haben. Zwar bezieht sich das Urteil auf Notfall-Praxen, die Krankenversicherer hatten im Herbst 2023 aber auch vom City-Notfall in Bern eine Rückzahlung in Höhe von 1,4 Millionen Franken gefordert. Der City-Notfall wurde gegründet, um die Notfallstationen des Insel- und Sonnenhofspitals zu entlasten und hat täglich bis 22.00 Uhr geöffnet. Genau wie die Winterthurer Praxis erhoben auch die City-Notfall-Praxen für Konsultationen nach 19.00 Uhr eine zusätzliche Pauschale. Ein kantonales Gericht hat in diesem Fall der Klage der Krankenkassen bereits stattgegeben.
Das Problem: Die hohen Rückzahlungen könnten dazu führen, dass die dem City-Notfall angeschlossenen Praxen ihre Dienstleistung einstellen. Patienten müssten dann wieder die Spital-Notaufnahme aufsuchen, was zu mindestens doppelt so hohen Behandlungskosten führe, wie Beat Straubhaar, Spitaldirekter in Thun und Ex-Verwaltungsrat des City-Notalls Bern, vorrechnet.