Im dritten Jahr der Pandemie hat sich deutlich herausgestellt, dass Corona sich nicht nur auf die körperliche Gesundheit, sondern auch auf die Psyche auswirkt. Das gilt nicht nur für Menschen, die sich mit COVID-19 infizieren. Welche Ängste und Sorgen die Bevölkerung in verschiedenen Ländern umtreiben, haben Forscher der Universität Lausanne anhand von Anrufen bei Krisen-Helplines analysiert.
Psyche: Studie analysiert Anrufe bei Helpline-Diensten während der Corona-Krise
Wie genau beeinträchtigt die Corona-Pandemie auf die Psyche der Bevölkerung? Um Antworten auf diese Frage zu finden, haben die Forscher der Universität Lausanne Anrufe bei Krisen-Helplines aus 19 Ländern untersucht: aus 14 europäischen Ländern, den USA, China, Hong Kong, Israel und dem Libanon. Insgesamt umfassen die Daten acht Millionen Anrufe, die zwischen 2019 und März 2021 angenommen wurden. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin „Nature“ veröffentlicht.
Bei der Auswertung zeigt sich, dass die Zahl der Anrufe sechs Wochen nach dem Ausbruch der Pandemie ihren Höhepunkt erreichte. Zu dieser Zeit gingen 35 Prozent mehr Anrufe bei den Krisen-Helplines ein als in den Monaten vor der Pandemie. Als Ausbruch der Pandemie legten die Forscher dabei den Zeitpunkt fest, zu dem im jeweiligen Land mehr als ein COVID-19-Fall pro 100’000 Einwohner vorlag.
In den folgenden Monaten ging die Zahl der Anrufe wieder zurück. In der elften Woche nach Pandemie-Ausbruch lag sie 6,2 Prozent über der Zahl der Anrufe vor Pandemiezeiten. Aus Deutschland und Frankreich vorliegende Daten, die den Zeitraum bis zum 31. März 2021 umfassen, lassen Rückschlüsse auf das Anrufverhalten in den nachfolgenden Wellen zu. In Deutschland nahm das Anrufvolumen kontinuierlich zu, in Frankreich fiel es nach Dezember 2020 deutlich ab. Diese Entwicklung fällt mit der Entwicklung der Infektionsraten und verschärften Präventionsmassnahmen in beiden Ländern zusammen.
Die Analyse zeigt einen graduellen Anstieg des Anrufvolumens. Als möglichen Grund nennen die Forscher eine eventuelle Überlastung der Helplines zu Beginn der Pandemie. Aufgrund mangelnder Personalressourcen konnten einige Helplines zunächst nicht alle Anrufe annehmen und haben sich erst nach und nach auf den gestiegenen Bedarf eingestellt.
Häufigste Anrufgründe: Angst und Einsamkeit
Die Lausanner Forscher haben auch analysiert, aus welchen Gründen die Anrufe Helplines in Anspruch genommen haben. Basis bilden die Daten von zwölf Krisen-Helplines, die Aufzeichnungen für einzelne Anrufe zur Verfügung gestellt haben.
Vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie erfolgten die meisten Anrufe aufgrund von Beziehungsproblemen (37 Prozent), Einsamkeit (20 Prozent) und aufgrund von verschiedenen Ängsten und Sorgen (13 Prozent). Die Mehrheit der Anrufe (61 Prozent) tätigten Frauen, 63 Prozent der Anrufer waren zwischen 30 und 60 Jahren alt.
Während der ersten Welle der Pandemie bis Ende Juni 2020 zeigten sich deutliche Änderungen bei den Anrufgründen. Vor allem die Zahl der Anrufe aufgrund von Ängsten stieg an, um 2,4 Prozent. In diese Gruppe fallen auch Anrufer, die Angst vor einer COVID-19-Infektion hatten. Die Zahl der Anrufe aufgrund von Einsamkeit nahm um 1,5 Prozent zu. Der Anteil aller anderen Gesprächsgründe nahm im selben Zeitraum signifikant ab. Das gilt insbesondere für Anrufe zu Beziehungsproblemen, ökonomischen Sorgen, Gewalt und Suchtproblemen.
Die zu Beginn der Pandemie geäusserte Sorge, dass es zu einem Anstieg von häuslicher Gewalt, Suchtproblemen oder suizidalen Absichten kommen würde, bestätigen die Studienergebnisse nicht. Die Autoren betonen jedoch, dass ihre Arbeit nicht das Leiden einzelner Personen entkräfte, ebenso wenig wie andere Studien, die zu abweichenden Ergebnissen gekommen sein könnten.
Zusammenhang zwischen staatlichen Massnahmen und Anrufen bei Suizid-Helplines
Aus der Lausanner Studie lässt sich weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der Anrufe bei Suizid-Helplines und einschränkenden Massnahmen zur Corona-Prävention ableiten. So nahm die Zahl der Anrufe in Frankreich zu, als strengere Massnahmen erlassen wurden. Als die Regierung finanzielle Unterstützung ankündigte, sank die Zahl der Anrufe bei Suizid-Helplines wieder. Ähnliche zeitliche Zusammenhänge zeigen sich auch in Deutschland und in den USA. Generell beobachten die Forscher den Trend, dass Gesundheitsmassnahmen die Psyche belasten, dieser Effekt durch staatliche finanzielle Unterstützung aber wieder ausgeglichen wird. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass ihre Ergebnisse als korrelativ zu sehen sind und warnen davor, Kausalitäten abzuleiten.